Tarquinio
Provini wurde am 29.05.1933 in Roveleto di Piacenza als Sohn eines
Motorrad-Händlers geboren. Sein Vater förderte die
Motorrad-Leidenschaft seines Sohnes nach Kräften, und so
besaß Tarquinio schon im Alter von nur 10 Jahren sein erstes
eigenes Leichtmotorrad.
Er konnte es kaum abwarten, endlich in den Sattel eines
Rennmotorrades zu steigen, und so begann er seine
Racer-Karriere bereits im Alter von nur 16 Jahren. Natürlich
konnte er damals in dem Alter noch keine Renn-Lizenz
beantragen, und so wurde dieses Problem in der Familie gelöst:
Sein Onkel Cesare hatte eine Lizenz, und im Lizenz-Formular
wurde einfach sein Passfoto durch eines von Tarquinio
ersetzt, und schon stand dessen Renn-Leidenschaft nichts
mehr im Weg. Es dauerte nicht lange, und „Cesare“
Provini hatte seine ersten lokalen Meisterschaften gewonnen.
Papa Provini war befreundet mit Peppino Boselli aus der
Familie, die die damals im Rennsport sehr erfolgreiche Marke
MONDIAL besaß. Daher war es klar, auf welcher Marke er
seine Karriere begann, und er blieb ihr treu, bis MONDIAL
sich nach der Saison 1957 vom Rennsport zurückzog.
Bis 1953 hat er sich im nationalen italienischen Rennsport
etabliert, und wer weiß, wie stark besetzt die damalige
Szene dort war, kann einschätzen, wie sich Tarquinio dort
durchbeißen musste. Damals entwickelt er seinen
unwiderstehlichen Stil, der ihn zum gefürchteten
Konkurrenten bei seinen Wettbewerbern machte.
Natürlich tritt er in dieser Zeit auch bei den populären
Langstrecken-Rennen an, und nach einem zweiten Platz bei den
125ern bei Milano – Taranto, nur geschlagen von Leopoldo
Tartarini auf der Benelli, gewinnt er 1954 den Motogiro.
Mitten in dieser Saison erhält er endlich die lang ersehnte
internationale Lizenz, und er fällt sofort durch seine
Klasse bei den Grand Prix auf. In Monza steht er zum ersten
Mal auf dem Podium als zweiter bei den 125ern, und beim
letzten 125er GP der Saison in Barcelona gewinnt er seinen
ersten GP, wobei beide Erfolge natürlich begünstigt wurden
durch den Rückzug der Rennföxe nach dem Unfall von Rupert
Hollaus.
In den Folgejahren steht MONDIAL im Schatten der MVs, und so
konzentriert sich Tarquinio auf die nationale Szene, wo es
ihm gelingt, vier italienische Meisterschaften in den Jahren
von 1955 bis 1957 zu gewinnen. Allerdings gelangte die
lombardische Marke 1957 zurück an die Welt-Spitze, und das
nun nicht nur bei den 125ern, sondern auch bei den 250ern.
So wurde 1957 zum besten Jahr von Tarquinio’s Karriere,
denn er konnte zu den zwei italienischen Meisterschaften
(125 und 250) noch den ersten seiner zwei WM-Titel hinzufügen,
und zwar in der 125er Klasse.
MONDIAL musste wie einige weitere italienische Marken sich
am Ende der Saison 1957 aus finanziellen Gründen vom
internationalen Rennsport zurückziehen, so dass sich
Tarquinio einen neuen Rennstall suchen musste für die
Fortsetzung seiner Karriere, und so akzeptierte er ein
Angebot von Conte Domenico Agusta, die WM in den Klassen 125
und 250 auf MVs zu bestreiten. Der Conte wollte sicherlich
Tarqinio’s Karriere keinesfalls fördern, er wollte nur
nicht gegen ihn konkurrieren, wenn Tarquinio ein Angebot
einer anderen Marke akzeptiert hätte. Für Tarquinio selbst
war es auch keine einfache Situation, denn er kam nun in den
Rennstall, der praktische alle Asse unter Vertrag hatte, und
gegen die musste er sich nun auf der Piste durchsetzen. Es
gelang ihm glänzend, denn er konnte 1958 den 250er WM-Titel
erobern, aber 1959 gingen die beiden Titel in den kleinen
Klassen wieder an
Carletto Ubbiali, und Tarquinio ging leer
aus. Immerhin konnte er einen Doppelsieg auf der Isle of Man
erringen, nachdem er in den zwei Jahren zuvor jeweils einen
Sieg bei der TT landen konnte.
Die interne Rivalität im MV-Rennstall führte aber zu einer
in der Öffentlichkeit ausgetragenen „Krieg“ zwischen
Ubbiali und Provini, so dass Tarquinio nach der Saison 1959
die Konsequenzen zog und zu Morini wechselte, mit dem festen
Vorsatz, die MVs in der 250er Klasse zu besiegen. Die Morini
war in dieser Zeit bereits sehr konkurrenzfähig, obwohl sie
erst einige Jahre später den Zenit ihrer Entwicklung
erreichen sollte.
Beim ersten Rennen der Saison 1960, der TT, wird er
allerdings nur Dritter hinter den MVs von Ubbiali und
Hocking, und in Spa stürzt er zum ersten Mal schwer, so
dass er die Saison nur auf Platz 9 bei den 250ern beendet.
1961 ist er wieder mit der schnellen Bologneser
Monocilindrica am Start, doch es sind nun nicht mehr die MVs,
die es zu schlagen gilt bei den 250ern, denn der Honda
Vierzylinder trat in dem Jahr seinen Siegeszug an. Für
Tarquinio blieb nur Platz 6 am Ende der Saison, und im
Folgejahr kann er immerhin einmal in Monza in die
Honda-Phalanx einbrechen und Platz zwei erringen. Der fünfte
Platz in der Endabrechnung des Jahres konnte seinen Ehrgeiz
natürlich überhaupt nicht befriedigen.
1963 beginnt die Saison dann mit zwei Paukenschlägen, als
Tarquinio nicht nur den ersten GP in Barcelona auf dem
winkligen Montjuich-Kurs gewinnt, wo man eine starke
Leistung der handlichen Morini erwarten konnte. Er schlägt
die Hondas dann aber auch auf dem ultraschnellen
Hockenheimer Kurs. Am Jahresende fehlen ihm nur zwei Punkte
zum ersehnten dritten WM-Titel, und es wurde seitdem viel
spekuliert, warum der Titel verpasst wurde. Oft hörte man,
dass der versäumte Start am Sachsenring dafür
verantwortlich war, aber es darf bezweifelt werden, ob er
dort in den Kampf zwischen Mike Hailwood/MZ und Jim Redman/Honda
hätte eingreifen können. Außerdem nahmen die beiden MZs
von Hailwood und Shepherd der Honda von Jim Redman wichtige
Punkte weg, wodurch der Kampf um den Titel länger offen
blieb. Fest steht jedenfalls, dass sich Tarquinio spätestens
1963 durch seinen heldenhaften Kampf gegen die technisch überlegene
Kombination Redman/Honda in die MOTORCYCLE HALL of FAME
gefahren hat. Schließlich wird diese Saison unter den Fans
heute immer noch diskutiert.
Tarquinio ist am Ende der Saison jedoch überzeugt, dass die
Hondas mit einem Einzylinder, und sei es auch der schnellste
der Welt wie die Morini, nicht mehr zu schlagen seien, und so
wechselt er zu Benelli, weil er sich mit dem Vierzylinder
aus Pesaro bessere Chancen ausrechnet. Die Saison 1964
beginnt gut für ihn, denn die Hondas lassen den ersten GP
in Daytona aus, wo Alan Shepherd mit der MZ überraschend
den Sieg holt. In Barcelona kann er seinen Vorjahres-Triumph
wiederholen, aber im Rest der Saison steht er keineswegs im
Mittelpunkt, denn die Saison ist geprägt vom Duell
Honda/Yamaha, wobei sich mit dem großartigen Phil Read im
Sattel zum ersten Mal ein Zweitakter die 250er WM-Krone
holt.
Tarquinio Provini gibt trotzdem nicht auf und setzt seine
Rennsport-Karriere fort, doch er kann nie mehr entscheidend
in den WM-Kampf eingreifen. 1965 kann er noch einmal in Monza
gewinnen, aber der Titelkampf war längst erneut zugunsten
der Yamaha mit Phil Read entschieden, dem eine überzeugende
Titelverteidigung gelang.
Trotzdem trat Tarquinio auch 1966 wieder mit der Benelli an,
jedoch beendete ein grauenhafter Sturz beim TT-Training am
25. August (die TT fand in dem Jahr ausnahmsweise im Spätsommer
statt, nach dem Ulster GP) seine Karriere. Seine Wirbelsäule
war ernsthaft verletzt, so dass die Ärzte ihn komplett
eingipsten, um ihn damit nach einem zweiwöchigen
Zwangsaufenthalt auf der Ilse of Man transportfähig zu
machen.
Natürlich dachte er daran, seine Karriere fortzusetzen,
aber er fand sich dann doch damit ab, den Helm an den Nagel
zu hängen.
Er hat sich später einige Male in Interviews zu dem Unfall
geäußert, und er hat nie dem sicherlich gefährlichen Kurs
die Schuld gegeben. Als er genügend Abstand gefunden hatte,
pflegte er zu scherzen, dass unmittelbar vor dem Sturz eine
Manx-Katze über die Straße gelaufen sei, doch er nahm ihr
das nicht übel, denn er beherbergte viele Jahre lang einen
Manx-Kater bei sich daheim, den er sehr mochte.
Tarquinio Provini fand dann eine neue Aufgabe mit seiner
Firma PROTAR, die Motorrad-Modell-Bausätze herstellte, und
natürlich waren seine Rennmotorräder, mit denen er
seine großen Erfolge feierte, die ersten Typen, die er auf
den Markt brachte.
Man kann oft lesen, dass Tarquinio Provini nur auf
italienischen Marken an den Start gegangen sei, aber das ist
nicht korrekt, denn einmal ließ er sich für eine nette
Summe überreden, einen Vertrag mit einer deutschen Marke zu
unterzeichnen. Denn als man bei Kreidler meinte, dass man
H.-G. Anscheidt durch weitere starke Fahrer im Team unterstützen
müsste und zu dem Zweck immerhin zwei Ex-Weltmeister mit
Luigi Taveri und eben Tarquinio Provini verpflichtete,
setzte sich dieser sogar auf eine 50er. Er kam aber nicht
sonderlich gut mit dem für ihn ungewohnten kleinen „Tiddler“
zurecht, so dass das Engagement nach wenigen Einsätzen
aufgelöst wurde.
Nun hat Tarquinio Provini leider seinen letzten Kampf
aufgeben müssen, was überhaupt nicht seinem Naturell
entspracht, seinen Kampf gegen den Krebs.
Die Motorrad-Renn-Szene hat mit Tarqinio Provini einen
legendären Piloten verloren, und unser Mitgefühl gilt
seiner Witwe Gelmina und seinen zwei Söhnen Marzio und
Tullio.
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