Wohl keine andere Zweiradmarke ist außerhalb von Motorradkreisen so bekannt wie Harley-Davidson. Sie hat als einzige aus den USA überlebt und feiert heuer ihr 120-jähriges Bestehen. Pünktlich zum runden Geburtstag liegt nun das Buch „Harley-Davidson – 120 Jahre Kult“ des ausgewiesenen Experten Mitch Bergeron vor. Und das hat es in sich.
Auf 288 Seiten zeichnet der Autor die Entstehung und evolutionäre Entwicklung der prägenden Baureihen aus Milwaukee nach. So geht es nicht immer modellchronologisch zu, sondern die Kapitel sind nach Baureihen geordnet. Bergeron verlangt zwar an vielen Stellen etwas technisches Verständnis, wenn es um Ölschmierung, Nockenwellen oder andere Details geht, aber auch wer auf diesem Gebiet nicht so bewandert ist, kann sich an dem Buch erfreuen. Vor allem die 350 Fotos und Abbildungen sind nicht nur aufgrund der Menge beeindruckend. Meist werden toprestaurierte Maschinen gezeigt, die gleichzeitig beweisen, wie hoch das Erbe der Marke in den USA (und anderswo) hochgehalten und gepflegt wird. Und sie sagen oft mehr als tausend Worte, was die Maschinen aus Milwaukee so beliebt und besonders macht.
Der Holzschuppen, aus dem 1903 die erste Harley-Davidson rollte, ist Legende. Bereits zwei Jahre früher hatten William S. Harley und Artur Davidson ihren ersten kleinen Motor mit 116 Kubikzentimetern Hubraum gebaut. Offiziell gegründet wurde die Harley-Davidson Motor Company aber erst 1907. In jenem Jahr wurde auch der erste Prototyp eines V2-Motors gezeigt. Der Twin ging dann 1909 in Serie – und fand zunächst nur wenig Freunde. Es dauerte dann noch vier Jahre bis mit der X-8-E und 989 Kubik die für viele erste ernstzunehmende Harley-Davidson auf den Markt kam. Sie hatte sieben PS und war ordentliche 105 km/h schnell. 1913 oder 1915 (hier widerspricht sich das Buch) verkaufte das Unternehmen dann erstmals mehr Zwei- als Einzylinder-Motorräder. Zum Ende des Jahrzehnts war Harley-Davidson sogar einmal größter Motorradhersteller der Welt, wie Bergeron berichtet.
Mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der Unternehmensentwicklung befasst sich das Buch nur selten. So dauert es beispielsweise 55 Seiten bis der Leser etwas genauer erfährt, was sich eigentlich hinter AMF verbirgt. Als kleiner Fauxpas darf die großformatige Abbildung gelten, mit der das Kapitel der Panhead-Ära eingeleitet wird: Es hat eine sehr grenzwertige Auflösung und wirkt wie aus Wikipedia kopiert. Das verwundert angesichts der ansonsten hervorragenden Druckqualität.
Das Buch schließt mit der CVO FLHXSE Street Glide von 2021 und hängt als Epilog noch kurz die Livewire und die Pan America an. Doch die stehen ohnehin für ein anderes Kapitel und wohl auch dafür, dass Harley-Davidson noch lange, lange leben wird. Die am längsten gebaute Motor-Rahmen-Einheit der Marke – 41 Jahre – fand sich übrigens nicht an einem Motorrad im herkömmlichen Sinn, sondern war das dreirädrige Servi-Car. Und auch dieses Erbe hat Harley mit in die Neuzeit gerettet. Als Threewheeler ist bis heute ein Trike ab Werk im Programm – ein weiteres Beispiel für die Einzigartigkeit des legendären Motorradherstellers.
„Harley-Davidson – 120 Jahre Kult“ von Mitch Bergeron ist im Delius-Klasing-Verlag erschienen.
Das Buch hat 288 Seiten mit 350 Fotos und Abbildungen und kostet 49,90 Euro.