Moto-GL-Kaleidoskop
Beobachtungen und Notizen aus dem Fahrerlager und von der Strecke
   
PrivatfahrerRauchendüberBallaugh Erinnerungsstücke aus den
Goldenen 50er-Jahren“
des Motorrad-Rennsports:

- Meinungen, Sinngebungen, Wertungen -

 

Vorbemerkungen: Gelegentlich bin ich beim Durchblättern alter Zeitschriften, dazu durch Muße und Zeitvertreib mehr veranlasst als etwa durch gezielte Recherche, auf Ereignisse gestoßen, aus denen die nachfolgenden Storys erwachsen sind, sozusagen als eine Art „Beifang“, wie die Fischer sagen würden. Die Texte bzw. deren Inhalte stellen gleichwohl Erinnerungs-Splitter dar, von denen jeder einzelne für sich von Bedeutung in mehrfacher Hinsicht ist (und die es rechtfertigen würde, darauf in Zukunft einmal vertiefend einzugehen).

PrivatfahrerRamseyHarbourTT und Wohnungssuche - Eine nette Episode: Bekanntlich gehören die Rennen um die Tourist-Trophy auf der Isle of Man nicht nur zu den ältesten, sondern auch gefährlichsten Veranstaltungen dieser Art. Aus diesen Gründen, im weiteren aber auch wegen der insularen Lage sowie einigen damit einhergehenden sozialen und kulturellen Besonderheiten stellt das jährliche Ereignis einen Höhepunkt im Geschehen auf der Insel dar und ist fest im Bewusstsein der Einheimischen verwurzelt. Nirgendwo anders haben die Rennen zu derart vielen tragischen Begebenheiten, aber auch Kuriositäten auf und neben der Strecke geführt, wie gerade hier. Ein Vorgang der besonderen Art, der sich im Jahre 1953 abspielte, ist bislang vergleichsweise unbekannt geblieben und verdient es deshalb, hier geschildert zu werden. Dazu sei vorab angemerkt, dass es der Sonderstatus der Insel im britischen Staatenverbund mit sich brachte, dass die Insel erst einige Tage nach dem Eintritt von Groß-Britannien in den Zweiten Weltkrieg *gesondert* dem Deutschen Reich den Krieg erklärte, also in einem eigenständigen politischen Akt. Davon unabhängig wurden viele gefangene deutsche Soldaten während des Krieges und danach auf der Insel interniert; das war u.a. praktisch, weil das jeden Fluchtversuch aus naheliegenden Gründen erschweren müsste.

PrivatfahrerCregneachAlso was war geschehen? Ohne es zu wissen, haben die deutschen Fahrer, die im besagten Jahr bei der TT starteten, einem auf der Insel Man sesshaft gewordenen deutschen Ex-Kriegsgefangenen zu einer Wohnung verholfen. Der Betreffende, der mit einer Manx-Insulanerin die Ehe eingegangen war, kämpfte seit Jahren einen verbissenen Kampf um eine größere Wohnung, die man ihm aber auf Grund der Tatsache nicht zugestehen wollte, dass formell immer noch kein Frieden zwischen England und Deutschland herrschte. Gerade zur Zeit der Tourist Trophy fand wieder eine Gemeinderats-Sitzung statt, auf deren Tagesordnung einmal mehr auch die Sache mit der Wohnung stand. Dabei führte einer der Gemeindeväter aus, es sei doch ein Unding, acht Jahre nach Kriegsschluss einen Mann immer noch als „Feind“ zu betrachten, dessen Landsleute zur gleichen Zeit als gern gesehene Fahrer-Kameraden und Sportsfreunde sowie Gäste bei der Tourist Trophy willkommen waren. Dieses Argument war absolut überzeugend und änderte die Meinung der Ratsmitglieder: Der Antragsteller bekam daraufhin seine Wohnung zugesprochen (nach einer Notiz in Motorrad, 5, 1953, S. 438).

Minton Castle Ramsey PrivatfahrerMintonCastle

Zur Sinnstiftung von Motorrad-Rennen - Eine sehr ernste Angelegenheit: Seit Beginn des Rennsports fragen sich Aktive und Außenstehende immer wieder, was die Fahrer bewegt, sich dieser Tätigkeit als Hobby oder gar Beruf hinzugeben, deren Ausübung - gelinde gesagt - im Zweifelsfall der körperlichen Unversehrtheit nicht eben zuträglich sein mag. Klar ist immerhin, dass den Risiken etwas gegenüber stehen muss, was die drohenden Verluste aufwiegt oder gar übertrifft. Aus berufenem Munde hat dazu Fergus Anderson, ein international angesehener Journalist und langjähriger Moto Guzzi-Werksfahrer, in seiner Kolumne „Kontinentale Motorsport-Splitter“ (s. Motorrad, 3, S.548) bereits Folgendes dargelegt:
AndersonaufMaschineMan kann nicht längere Zeit Rennen bestreiten, ohne sich der Tatsache gegenübergestellt zu sehen, dass den Straßenrennen ein gewisses Risiko anhaftet. (Was für eine schelmenhafte Verharmlosung!, d. Verf.). Fahrer nehmen diese Risiken hin, weil sie dafür etwas vom Leben erhalten, was sie sonst anderwärts ziemlich sicher verlieren würden. Ich glaube, dass uns manchmal die Rennen und alles, was damit zusammenhängt, zum Halse heraushängen, aber dennoch lieben die Fahrer im Großen und Ganzen das Gehaste und Gerenne des Geschehens und gestalten damit ein erfreulicheres Leben als die große Mehrheit des Volkes in „gewöhnlichen“ Berufen. Deshalb liebt auch das Volk jene Fahrer mehr, die ihr Leben einsetzen, als die anderen „Auch“-Fahrer. Nicht weil es grausam ist, sondern weil es sich fühlt, dass es wertvolle Wege gibt, auf denen man sein Leben verlieren kann“ (aus Motorrad, 3, S. 548; gegenüber dem Original geringfügige Korrekturen an vier Wörtern vorgenommen).

Anderson schreibt das zu einer Zeit, als er gerade einen schlimmen Sturz in Senigallia überlebt hat, der ihm infolge einer kompletten Amnesie mit nachfolgendem Krankenhaus-Aufenthalt die Gefahren des Scheiterns im wahrsten Sinne des Wortes extrem „leibhaftig“ vor Augen geführt hat. Es fehlt vielleicht in seiner Betrachtung die Heroisierung, die mit allen Sport-Arten verbunden ist, die nach allem Dafürhalten „risikoreich“ sind, wie z.B. Tiefsee-Tauchen, Extrem-Klettern oder die Teilnahme am Einhand-Segeln um die Welt, um nur einige Beispiele zu nennen; dabei geht es darum, die mit dem Sport verbundenen erheblichen Gefahren, denen man sich ganz bewusst aussetzt, gerade eben zu meistern, ohne daran zu scheitern – aber dieses bewusste Aussetzen gegenüber der Gefahr bringt den subjektiven „Kick“ oder „Thrill“ als Intensiv-Erlebnis, das anderswo nicht zu bekommen ist. Entsprechend postet Anderson neben seinem Beitrag das nachfolgende Foto, das ihn in verwegener Fahrt auf seiner Maschine zeigt.

Fergus Anderson in wilder Fahrt AndersonSelbstfahrtBild
Moto Guzzi developed this overbored 250 machine which carried Fergus Anderson to Junior World Championship honours in 1953

Anderson am Fuße von Bray Hill
auf der Isle of Man

Fergus Anderson errang 1953 und 1954 den
350er-WM-Titel auf Moto Guzzi.

Im Frühjahr 1958 stürzt Anderson in Floreffe tödlich, nachdem er, inzwischen 47-jährig, aus dem vorübergehenden Ruhestand noch einmal in das sportliche Geschehen eingreifen wollte. Bei Guzzi war er als langjähriger Rennleiter im Dissens geschieden, eine Anfrage bei DKW führte zu keinem Ergebnis, weil sich das Werk Ende 1956 vom Sport zurückgezogen hatte. Es blieb BMW mit einer RS 54 - mithin einer Maschine, deren Fahrwerk allgemein als problematisch galt, somit die unglücklichste aller denkbaren Lösungen. Der fatale Unfall bestätigte dieses. Gleichwohl war die Tragödie insgesamt in seinem Sinne wohl doch „ein wertvoller Weg“ gewesen, auf dem er sein Leben verloren hat - und damit aus seiner Perspektive vermutlich in Übereinstimmung mit seinen Werten….
AndersonFloreff



Fergus Anderson vor seinem letzten Start
 

Die gesonderte Wertung von Privatfahrern - Eine fast vergessene Sache: Privatfahrer bilden den eigentlichen Kern allen Motorsports. Sie sind es, die aus Interesse für die anspruchsvolle Technik einerseits und ihrem Spaß am Fahren sowie dem Wettbewerb mit Gleichgesinnten alle damit verbundenen Mühen auf sich nehmen und die entstehenden Kosten aus ihren eigenen, den „privaten“ Ressourcen oder Rücklagen bestreiten. Nur dieser letztere, freilich ganz erhebliche, Punkt unterscheidet sie von den Werks- oder Fabrik-Fahrern, für die ein Unternehmen alle anfallenden Kosten übernimmt, also hauptsächlich für die Entwicklung und Wartung sowie den Transport von Mann, Maschine und Mechanikern, mitunter zusätzlich auch das Nenngeld. Je nach Volumen der getroffenen Vereinbarungen resultieren daraus prinzipielle Vorteile, wenn nicht Privilegien, gegenüber der zuvor ausgeübten Rolle als Privatfahrer – denn aus dieser Rolle heraus, in der mit dem Sport in aller Regel begonnen wird, muss „Mann“ sich durch entsprechende Leistungen zeigen und für ein Werks-Angebot qualifizieren. Insofern stellen Werks-Fahrer zumeist eine positive Auswahl aus dem Feld aller Konkurrenten dar, und die ihnen zur Seite stehende Technik übertrifft qualitativ gewöhnlich diejenige der „Privateers“. (Gewiss gibt es an jeder der Schnittstellen immer wieder auch Ausnahmen, die hier aber nicht gesondert thematisiert zu werden brauchen.) Insofern begründet die Kombination von persönlicher Besten-Auslese einerseits mit hochwertiger Technik/konstruktivem Aufwand andererseits einen gleich *doppelten* Vorzug gegenüber dem Gros der Privatfahrer – mit der Folge, dass dementsprechend die Werks-Fahrer regelmäßig die ersten Plätze im Zieleinlauf vor den Privatfahrer belegen.

Wie gesagt: „regelmäßig“, nicht „gesetzmäßig“, denn immer wieder gelingt es einem technisch begabten und/oder fahrerisch besonders talentierten Fahrer, in die Domäne der Werks-Fahrer einzubrechen; man denke etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, an Helmuth Fath, über den das bekannt ist, fahrerisch und technisch.

Damit ist eine krasse Zwei-Klassen-Gesellschaft in den Starter-Feldern gegeben. Die Ergebnisse der Rennen, in denen Privatfahrer auf Werksfahrer trafen, waren unschwer vorhersagbar, die „Verlierer“ standen bereits vorher fest. Um die benachteiligten Privaten fairer zu behandeln, sie für die Zuschauer „sichtbarer“ zu machen und dadurch aufzuwerten, lag es nahe, neben der Gesamtwertung, die sich ausschließlich nach der Reihenfolge im Zieleinlauf richtete, eine solche gesondert für die Privatfahrer einzuführen. Dieses geschah, und zwar eher informell, erstmals im Laufe der Saison 1953, als nach dem total verregneten Eifel-Rennen von Karl Lottes als dem „Privatfahrersieg(er)“ gesprochen wurde, nachdem er hinter den beiden DKW-Werksfahrern Karl Hofmann und Siegfried Wünsche als Dritter eingelaufen war. Auch wenn im Zusammenhang mit diesem Ereignis schon einmal „zwischengewertet“ wurde, und obwohl die Privat-Ersten bei den einzelnen Rennen mit einem gesonderten Sieger-Kranz geehrt wurden, fehlte am Ende des Jahres eine formale Bilanzierung.

 PrivatfahrerLottesfriert




Lottes: „Noch nie habe ich im Winter so gefroren wie bei diesem Rennen“

Dieses änderte sich für das Jahr 1954, hieß es nunmehr doch:
Parallel zur Deutschen Motorrad-Straßenmeisterschaft wurde eine offizielle Privatfahrer-Wertung durchgeführt, wobei ebenfalls die vier besten Punkteziffern aus den 6 gefahrenen Meisterschaftsläufen für die endgültige Klassenwertung herangezogen wurden. Bei Punktgleichheit entschied die bessere Platzierung beim Rennen „Rund um Schotten“.

Die „Besten Privatfahrer 1954“ waren:

125cc: Karl Lottes, MV Agusta; 250cc: Walter Reichert, NSU; 350cc: Fritz Kläger, Horex; 500cc: Gerd von Woedtke, Norton; 500cc Seitenwagen: Fritz Hillebrand/Manfred Grunwald, BMW.

PrivatfahrerWoedtke


Woedtke 1954 mit seiner Norton; ab 1955 fuhr er eine BMW RS, mit der er aber nicht zurechtkam und am Ende des Jahres zurücktrat
Das war es dann aber auch schon. Ein Jahr darauf, also 1955, war wieder alles wie zuvor; sang- und klanglos hatte man die gesonderte Wertung für die Privatfahrer wieder aufgegeben; sie war nie richtig bei der Öffentlichkeit „angekommen“. Die Gründe dafür mögen verschiedene gewesen sein: Zum einen war der Titel „Punktbester“ natürlich nicht gleichwertig mit etwa „Meister“. Zum anderen hatten sich NSU und Horex werksseitig vom Rennsport zurückgezogen, BMW trat in der Halbliter-Solo-Klasse nur noch mit Zeller an, DKW gab Ende 1956 auf. Damit waren alsbald die Privatfahrer weithin „unter sich“, wobei mehr und mehr die Fahrer aus dem britischen Commonwealth das Geschehen bestimmten und zu überaus spannenden Rennen beitrugen – aber das ist eine ganz andere Geschichte, die es (ebenfalls) verdient hätte, vertiefend behandelt zu werden…
PrivatfahrerEricHinton
Eric Hinton auf NSU-Sportmax in St.Wendel 1958

 P.S. Ich danke Gerhard Fischer für seine kritischen Kommentare

Text: Manfred Amelang
Fotos: Motorrad; Internet; Isle of Man Tourist Board; Frohnmeyer, Amelang