Moto-GL-Kaleidoskop Beobachtungen und Notizen aus dem Fahrerlager und von der Strecke |
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Rezension Manfred Woll (2021): “Die MZ-Renngeschichte 1962-1977“ |
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Formales Genau 20 Jahre nach dem Erscheinen der „IFA/MZ-Renngeschichte 1949-1961“ legt Manfred Woll nun den zweiten Teil seiner historischen Aufarbeitung der technischen und straßen-renn-sportlichen Aktivitäten des Motorradwerkes Zschopau vor. Damit wird ein Zeitabschnitt von insgesamt fast 30 Jahren abgedeckt. (Zeitgleich damit erschien im selben Verlag eine englische Übersetzung: M. Woll: “The history of MZ racing 1962 – 1977“). Die Kontinuität der Herangehensweise ist – um mit Äußerlichkeiten zu beginnen – bereits an Hand formaler Details unverkennbar: So stimmt das neue Werk mit dem alten im Format exakt überein (23 x 27,3 cm), Struktur des Einbandes und Gestaltung der Titelfotos gleichen einander ebenso wie das glatte und schwere Papier der einzelnen Seiten; sogar die Platzierung und Farbgebung der Seiten-Nummerierungen ist absolut identisch – und all dieses ist bemerkenswert eigentlich nur deshalb, weil der Verlag nunmehr ein anderer ist als seinerzeit. Damit hat der Autor erkennbar dafür Sorge getragen, dass der nunmehr erschienene Band ungeachtet der inzwischen ins Land gegangenen Zeit doch nahtlos und konsistent an den ersten anknüpft. Bei einem ersten Blick ins Innere des Bandes fallen drei Dinge ins Auge: Zum einen hat Woll bei der Behandlung des Stoffes sein Konzept beibehalten, das historische Geschehen streng nach den aufeinanderfolgenden Jahren abzuhandeln und dabei in Übersichten jeweils die Rennen gelistet, an denen MZ in der betreffenden Saison teilgenommen hat. Zum anderen die erneut große Zahl von Fotos, viele von ihnen zuvor nirgendwo anders publiziert und von guter Qualität, zudem häufiger nun in Mehrfarben-Druck. Darüber hinaus aber die Tatsache, dass der gesamte Text durchgängig völlig ungegliedert ist, soll heißen: Im gesamten Buch findet sich tatsächlich kein einziger Absatz, der Text läuft sozusagen vom Anfang bis zum Ende kontinuierlich „durch“, abgesehen selbstverständlich von den großen Kapiteln in chronologischer oder technischer Hinsicht (die einzelnen Jahre; 125er bzw. 250er-Motor). Da muss es auf dem Weg vom Autor über das Lektorat bis zur Druckerei irgendwelche Probleme gegeben haben. Wie dem auch sei: So bleibt dem Leser als eine Strukturierungshilfe dafür, wo ein neuer Gedanke thematisiert wird, lediglich das optische „Achtungszeichen“, dass im laufenden Text die Orte des jeweiligen Renngeschehens (z.B. Sachsenring, Imola, Dresden usw.) durch Fettdruck hervorgehoben sind. Zum Inhalt Das sportliche Geschehen: Woll überschreibt die Zeit von 1962 bis 1964 als „Die Boykottjahre“ und erinnert damit an den unsäglichen Bau der Berliner Mauer im August 1961 sowie deren missliche Folgen auch für den Motorsport. Weil dieses längst der Vergangenheit anzugehören scheint, darf hier darauf noch einmal zurückgeschaut werden: Der Deutsche Sportbund (DSB) hatte als sofortige Reaktion auf den Mauer-Bau mit den sog. „Düsseldorfer Beschlüssen“ einen gemeinsamen Start von Sportlern aus der DDR und BRD untersagt; zudem erteilten die NATO-Staaten keine Visa für Bürger aus der DDR. In der Gemenge-Lage von gegenseitigem „Die lassen niemanden raus!“ und „Ihr lasst niemanden rein!“ war beispielsweise eine Anreise des MZ-Teams zu einigen Rennen unmöglich, wie beispielsweise zu demjenigen in Barcelona, von wo aus eine Startgenehmigung vorlag, mehr noch: Damit war generell eine reguläre Teilnahme von MZ an der WM nicht gewährleistet. Immerhin gelang es aber, ausländische Spitzenfahrer aus westlichen Ländern unter Vertrag zu nehmen, da für diese die erwähnten Beschränkungen nicht galten. Hier sind vor allem Luigi Taveri, Mike Hailwood, Alan Shepherd, Derek Woodman und Peter Williams zu nennen. (Womit diese bezahlt wurden, ist nicht überliefert; wegen der bekannten Devisen-Knappheit der DDR wurden ihnen vermutlich die Start- und Preisgelder überlassen, mit denen es möglich war, sich dann Sachwerte im damaligen „Arbeiter- und Bauern-Staat“ zu beschaffen; aber viel wichtiger waren für die Fahrer natürlich die WM-Punkte.) Mitunter waren abenteuerliche Aktionen notwendig, um im Ausland antreten zu können. So wurde, wie Woll es beschreibt, einmal das gesamte MZ-Material bis zur Grenze nach Italien gebracht und dann in die Obhut von Shepherd übergeben, der damit als „Privatfahrer“ einreisen konnte; vor Ort wurde dieser dann von anderen MZ-Kameraden in technischen Fragen betreut. Die besagten Fahrer erzielten für MZ teils hervorragende Platzierungen, also Siege oder vordere Plätze bei WM-Läufen, u.z. weniger bei den 125ern, wo die Japaner mit ihren Mehrzylinder-Maschinen leistungsmäßig enteilt waren, als mehr in der Viertelliter-Klasse, wo MZ mit der Zwei-Zylinder sehr konkurrenzfähig war; das galt auch mit der auf 251cc und sogar 300cc aufgebohrten Viertelliter-Maschine, die mehrfach bei den 350ern eingesetzt wurde. Als später die Verdikte nicht mehr galten, waren auch van Dulmen sowie der Finne Virtanen auf MZ sehr erfolgreich, und nicht zuletzt auch: Dieter Braun, zeitweise Fahrer im damaligen Neckermann-MZ-Renn-Team (ja, das gab es..). Die folgenden Jahre hat Woll unter die Überschriften gestellt: -„Gegen die japanische Übermacht“ (1965- `68), -„Verpasste Gelegenheiten“ (1969-`71), - „Abrutsch in die Bedeutungslosigkeit“ (1972-`76) und - „Das letzte Aufbäumen“ (1975 -`77). Zum ersteren Abschnitt ist allgemein bekannt, wie insbesondere in der Achtel-Liter-Klasse die japanischen Mehr-Zylinder international drückend überlegen waren. Besondere Aufmerksamkeit mögen aber die „Verpassten Gelegenheiten“ auf sich ziehen. Schaut man sich deshalb die Ergebnisse von MZ in der Konstrukteurs-WM aus den betreffenden Jahren an (was sich nicht aus dem Text erschließt, sondern das Heranziehen anderer Quellen erfordert), so erzielte MZ die besten Resultate 1971, u.z. in der Viertelliter-Klasse, allerdings mit einem Riesen-Abstand zu Yamaha. Maßgeblich für diese Platzierung waren vor allem die Resultate von Grasetti, für den es in der Fahrerwertung am Ende zu einem 7. Platz reichte (und der sich als wirklich furchtloser Fahrer grundsätzlich weigerte, auf der TT anzutreten…). Diese Resultate sprechen durchaus für die Wettbewerbsfähigkeit, aber besonders „nah dran“, etwa an einem WM-Titel, wie 1961 unmittelbar vor dem „Seitenwechsel“ von Degner, war das „Rennkollektiv MZ“ auch in diesen Jahren eigentlich nie mehr. Die „verpassten Gelegenheiten“ waren somit nichts anderes als die immer wiederkehrenden technischen Defekte, die bessere Resultate verhinderten – und dieses war ein grundlegendes Problem, das MZ über all die Jahre beeinträchtigte. Und: Die Ausfall-Gründe waren im Wesentlichen die gleichen wie in den vorangegangenen Jahren. Die Überschrift „Abrutsch in die Bedeutungslosigkeit“ klingt harsch. Aber wenn man auf die Ergebnisse schaut, ist sie berechtigt. Im Jahr 1972 tauchte MZ in der Konstrukteurs-WM bei den 350ern nicht auf, bei den 250ern immerhin auf Platz 3, im Jahr darauf lauteten die Platzierungen 6 bzw. 3. Und 1974 war MZ gar nicht mehr in den Ergebnis-Listen enthalten – sowohl in der Viertel-Liter-Klasse als auch bei den 350ern hatte Yamaha die Konkurrenz völlig platt gemacht. Unter „Letztes Aufbäumen“ ist MZ bei den FIM-Unterlagen nur noch mit dem grandios fahrenden Tapio Virtanen vertreten, der aber nur bei einzelnen Rennen antrat und 1976 in der Fahrerwertung noch 30. wurde. MZ hatte sich aus der international wichtigen Szenerie zurückgezogen und ging nur noch vereinzelt in den „sozialistischen Bruderstaaten“ an den Start. Insofern war der sich bereits früher abzeichnende „Abrutsch“ auch ein unausweichlich selbstgewählter Weg in die besagte Bedeutungslosigkeit. Bemerkungen zum Technischen: Im Unterschied zu Band 1, in dem der Autor die technischen Glanzleistungen und Fortschritte bei der Entwicklung der Maschinen schildert, steht im 2. Band das Bedauern über die vielen technischen Defekte im Vordergrund. Kein Wunder, weil einige der damaligen Vorgehensweisen heute kaum noch nachvollziehbar sind; freilich wäre es vermutlich nicht zulässig, mit dem heutigen Wissen die damaligen Entscheidungen zu hinterfragen. Und: Nicht alle Probleme (etwa die Dimensionierung von Motorteilen) dürfen auf die beschränkten Möglichkeiten in der damaligen DDR zurückgeführt werden. Warum wurde über viele Jahre an den nur mäßig geeigneten Zündmagneten festgehalten? Waren dafür noch andere Faktoren maßgeblich als etwa die nicht stemmbaren Kosten einer Zusammenarbeit mit Bosch? Warum dauerte es so lange, bis man endlich das Problem mit den verdrehten Kurbelwellen in den Griff bekam? Natürlich bringen zierliche, leichte Bauteile einen Gewinn an Beschleunigung und Leistung, aber es gilt das eherne Prinzip:“To finish first, you first have to finish!“ (Schon etwa 10 Jahre zuvor hatte DKW in dieser Hinsicht einen schmerzhaften Umdenkprozess weg vom extremen Leichtbau durchzumachen gehabt.) Mitunter beschleicht den Leser der Eindruck, die Teams aus Zschopau selbst seien nur mit eher geringen Erwartungen auf hinreichenden Erfolg zu den WM-Läufen geschickt worden. Wohl jeder entwickelt Sympathie mit Rosner, der irgendwann einfach nicht mehr so weitermachen wollte, weil ihm Siege, wenn nicht WM-Titel, entgangen waren wegen der schier endlosen Kette immer neuer Defekte. Weiterungen: All diese Misslichkeiten lassen auch die Würdigung der Person von Walter Kaaden nicht unbeeinflusst. Ganz ohne Zweifel hat dieser den Rennzweitakter erheblich vorangebracht, weshalb es absolut gerechtfertigt ist, dass Woll ihm mit seinen Büchern ein Denkmal setzen will, gar keine Frage. Aber: Die Flops mit der 50cc-Maschine, dem Dreizylinder und auch dem Tandem-Twin (solche Motoren haben später Weltmeister-Titel gewonnen) lassen sich nicht wegdiskutieren. Zudem hatten die durch Motorschäden bedingten Ausfälle und Stürze weitere negative Auswirkungen insofern, als es für MZ zunehmend schwieriger wurde, Spitzenfahrer zu gewinnen. Gründe für das endgültige Aus waren am Ende der Mangel an Geld und anderweitigen Ressourcen, die staatlichen Gängeleien, im weiteren das Fehlen von jederzeit verfügbaren Prüfständen und Teststrecken – damit war MZ schließlich sang- und klanglos aus dem internationalen Renngeschehen ausgeschieden. Kommentar und Fazit Generell ist der Text sowohl im sportlichen als auch technischen Bereich hoch-informativ, was gewiss den wichtigste Anspruch an ein derartiges Werk erfüllt; die Fülle des hier präsentierten Materials sowie dessen feingliedriger Auflösungsgrad sind beeindruckend und stehen für langjährige, sorgfältige Recherche. Darüber hinaus ist der Text gut zu lesen, meist ist er sogar fesselnd bei der Schilderung der einzelnen Rennen (nicht weniger als 260 im Berichtszeitraum!) wegen des erzählenden Stils, der den Leser in das Geschehen sehr gut einbezieht. Auch die Logik der einzelnen Schritte bei der Entwicklung der Motoren, von Kühlsystemen, Getrieben und Auspuffanlagen wird ebenso klar vermittelt wie die Evolution bei den Fahrwerken und deren Komponenten. Zahlreiche Fotografien der entsprechenden Teile in eingebautem und zerlegtem Zustand sowie Konstruktionszeichnungen sorgen für zusätzlichen Aufschluss und hohe Anschaulichkeit. Wohl unvergesslich bleibt die Anekdote über den Tausch einer Drei-Zylinder-350er DKW (der „singenden Säge“), die – ohne „Innereien" im Motor - auf verschlungenen Wegen in die Hände von Hans Mann in der BRD gekommen war und letztlich im Museum Augustusburg landete, gegen eine 125er MZ-Rennmaschine, auf der sein Sohn nach mehreren Jahren und wiederholtem Eintauschen der 125er gegen immer aktuellere Modelle leider zu Tode kam. Hilfreich wäre es gewesen, wenn zusätzlich zu den verbalen Rennberichten die jeweiligen Resultate in Zahlen, also Tabellen und Ergebnis-Listen, dargestellt worden wären („Nichts ist informativer als eine Tabelle!“). Auch wäre es für ein fundiertes Nachschlagewerk wie das vorliegende bereichernd gewesen, wenn die Herkunft der jeweiligen Informationen durch Angabe der Quellen belegt worden wäre – auch wenn dieses in vielen Fällen wohl Schwierigkeiten bereitet hätte (waren es persönliche Gespräche? Vermutungen? Dokumente?). So muss man dem Autor für die meisten der gemachten Feststellungen einfach „glauben“, was eine letztlich nicht ganz befriedigende Situation bedeutet. Schließlich: Es wäre hilfreich, wenn sich im Anhang ein Stichwort- und Namens-Register befände, an Hand dessen man auf der Suche nach Details oder beim Versuch, die Erinnerung an bestimmte Inhalte zu konkretisieren, schnell fündig hätte werden können. Abgesehen von diesen Anregungen muss festgehalten werden, dass mit dem vorliegenden Buch erstmalig die facettenreiche und eindrucksvolle Rennsport-Geschichte von MZ in seiner Gesamtheit ebenso differenziert wie hoch-kompetent und packend dargestellt worden ist. Also: Ein absolutes Muss für jeden Interessenten an der Motorsport-Geschichte der Sechziger- und Siebziger-Jahre! |
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Autoren: Manfred Amelang, Gerhard Fischer |
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Manfred Woll (2021): “Die MZ-Renngeschichte 1962-1977“, Zettlitz: 79Oktan; 304 Seiten; ISBN 978-33-9823852-6-6; 39,90 €. MZ-Renngeschichte Band 2 |