Rezension

Jon Ekerold: “Der Privatfahrer“

von
Manfred Amelang
Ekerold Buch Titel
 

Sonntag, 24. August 1980: Auf dem Nürburgring steht der letzte Lauf zur WM in der Klasse bis 350cc bevor. Auf Startplatz 1 Anton Mang auf einer Vorjahres-Werks-Kawasaki, gemeldet von Krauser als dem Team-Eigner, auf Platz 3 Jon Ekerold auf einer Yamaha im Bimota-Fahrgestell. Seine beste Trainingszeit ist knapp 9 Sekunden langsamer als die von Mang. Beide Fahrer haben in den vorangegangenen fünf WM-Läufen exakt dieselbe Zahl von Punkten eingefahren; der Sieger dieses Endlaufes würde somit Weltmeister werden. Ekerold hätte bereits im vorletzten Lauf in Tschechien „den Sack zumachen“ können, wäre er nicht mit einem technischen Defekt in Führung liegend ausgefallen. Mang hatte bereits kurz zuvor die WM in der Viertelliter-Klasse gewonnen,
Ekerold erklärt, er werde vom Rennsport zurücktreten, wenn es dieses Jahr mit dem Titel nichts würde. Er scheint bis unter die Haarspitzen motiviert zu sein: Das Fernsehen zeigt die unvergessliche Szene, wie er am Start auf seiner Maschine sitzt, seinen 6-monatigen Sohn Anthony auf dem Arm, daneben-stehend seine Frau Sandy; keinen Zuschauer lässt es angesichts dieser Bilder unberührt, Stimmung wie „Sieg oder Tod“. Kawasaki hat seine beiden Werksfahrer Kork Ballington und Gregg Hansford an den „Ring“ geschickt, damit sie Toni Mang vielleicht behilflich sein könnten; allerdings kam dieser Order nur Hansford nach, der im Training die zweitschnellste Zeit erzielt hatte. Ekerold nuerburgringDas Rennen gerät zu einem epischen Zweikampf zwischen Mang und Ekerold, mit zahlreichen wechselseitigen Überholmanövern, am Ende gewinnt Ekerold – der damit Weltmeister bei den 350ern wird, als letzter Privatfahrer der bisherigen FIM-Geschichte – weshalb dieses denkwürdige Ereignis im Mittelpunkt des Buches steht.

Zweiundzwanzig Jahre nach dieser Begebenheit erschien die englisch-sprachige Version des vorliegenden Buches, und noch einmal mehr als zwei Jahrzehnte danach dessen deutschsprachige Ausgabe, übersetzt von Barbara Ekerold, seiner zweiten Frau, und dieses in absolut perfekter Form; Stil und Inhalt der Sprache machen die Lektüre zu einem wirklichen Genuss.

Der zeitliche Abstand von fast einem halben Jahrhundert zu dem Geschehen auf und neben der Piste lassen es als unwahrscheinlich erscheinen, dass die zahlreichen Gespräche zwischen den Akteuren , die einen Groß-Teil des Buches ausmachen, so wie sie zitiert werden, auch faktisch in derselben Weise stattgefunden haben – das ist unmöglich, denn natürlich ist nie ein Aufnahmegerät mitgelaufen; somit kann es sich nur um Rekonstruktionen im Nachhinein handeln, um sinngemäße Erzählungen dessen, was seinerzeit stattgefunden hat. Damit lässt sich eines bereits festhalten: Das Buch ist, was diese Details angeht, keine punktgenaue Dokumentation des damaligen sozialen Geschehens am Rande der jeweiligen Rennen. (Es fehlen auch jegliche Tabellen oder Diagramme, die mitunter hilfreich wären, um den Überblick nicht zu verlieren. Im Hinblick darauf lohnt ein Blick ins Internet, wo sich bei Wikipedia alles findet.) Vielmehr stellt es eine Nacherzählung dessen dar, was und wie es wahrscheinlich gewesen ist – dieses allerdings ausgesprochen anregend und überaus fesselnd; es bereitet größtes Vergnügen, das Buch zu lesen.

Ekerold 1Zur Gliederung und zum Inhalt: Auf ca. 300 Seiten schildert Jon (Abkürzung von Jonathan) Ekerold den Verlauf seiner Rennfahrer-Karriere in Form von 26 Kapiteln, beginnend mit den Anfängen auf Serien-Motorrädern in südafrikanischen Veranstaltungen, über die verschiedenen Rennen in Europa im Kontext von Begebenheiten und Erlebnissen mit Helfern, Freunden und Konkurrenten aus seinem sozialen Umfeld. Der Text wird illustriert mit zahlreichen Abbildungen, viele davon von herausragender Qualität und bislang kaum bekannt, darunter je ein Foto von seinen drei Buben aus erster und drei weiteren Söhnen (!) aus seiner zweiten Ehe. (Nur am Rande: Irgendwo bemerkt er, sieben Geschwister zu haben, davon sechs Brüder, eine ungewöhnliche Häufung des männlichen Geschlechts, die jeden Verhaltensgenetiker auf den Plan rufen müsste…) . Der Text lässt dabei durchweg erkennen, dass Jon bei allem Ernst und Ehrgeiz in der Sache sehr wohl voller Humor und Selbstironie ist.

Um nur wenige Beispiele zu nennen: Ein durchgehendes Thema war zumindest in der Frühzeit seiner Aufenthalte in Europa die prekäre finanzielle Situation; hier erfährt der Leser, dass Jon mehrfach richtiggehend „pleite“ war. Weitgehend unbekannt ist die Anekdote, wonach er sich nach seinem Sieg bei der Dutch TT in Assen zunächst weigerte, zur Siegerehrung zu kommen und er dieses erst tat, nachdem er dem Veranstalter, der bekannt für seine knausrigen Start- und Preisgelder war, für diesen Schritt fünftausend Schweizer Franken extra abgehandelt hatte.

Ein gewisses Mantra war für ihn, dass es von Seiten der Motorrad-Fabriken nie ein Angebot gegeben hatte, eine Werksmaschine fahren zu dürfen, was natürlich die finanzielle Situation grundlegend verbessert hätte. Auf solche Offerten hoffte er bereits nach den allerersten Erfolgen in Europa – freilich vergebens, und er spricht als einen der möglichen Gründe dafür an, dass dabei vielleicht seine Herkunft aus Südafrika eine Rolle gespielt haben könnte, in der Zeit, als die Apartheits-Politik seines Landes zunehmend in der internationalen Kritik stand. Auch nach dem Gewinn der WM 1980 änderte sich daran nur wenig; allein Cagiva machte ein Angebot, aber die Maschine erwies sich nicht als richtig konkurrenzfähig - Jon machte somit aus seinem Status als Privatfahrer aus der Not eine Tugend, auch für das Buch, aber wer hätte es in einer vergleichbaren Situation wohl anders gemacht?

Bemerkenswert ist die von ihm vorgenommene Unterscheidung zwischen einerseits Straßen- und andrerseits Rundstrecken-Rennfahrern. Seiner Auffassung nach kann man die Leistungen der heutigen Fahrer-Generation nie mit denjenigen der früheren Straßenrennfahrer vergleichen, weil unabhängig von den Fähigkeiten, die ein Rundstreckenfahrer besitzen mag, er ohne den Mut früherer Helden nur sehr wenig erreicht hätte, wenn er zu ihrer Zeit angetreten wäre. Ekerold diskutiert diese Gegebenheiten im Kontext der Isle of Man, wo er zweimal angetreten ist. Rennen zu fahren auf der Isle of Man, so seine Auffassung, verhalte sich zu Rennen auf normalen Rennstrecken wie Freeclimbing zum normalen Bergsteigen – ein gewiss anschaulicher Vergleich.

Im letzten Kapitel, das er als Nachwort bezeichnet, schildert Ekerold auf acht Seiten Text die drei Jahre nach dem Gewinn der WM und damit ein Geschehen, das nicht mehr direkt mit dem Titel zu tun hat, denn ab Mitte 1982 war er nicht mehr Privatfahrer, sondern er hatte einen Werksvertrag mit Cagiva, um deren neu entwickelte 500er zu fahren. Nach anfänglichen Erfolgen kam es zu Unstimmigkeiten, weil das Werk seinen italienischen Stallkameraden Virginio Ferrari stark bevorzugte, Zerwürfnisse traten auf mit seinem langjährigen Reifen-Partner Dunlop, sein Hauptsponsor Solo zog sich zurück, schließlich verlor er fast sein ganzes Vermögen durch betrügerische Machenschaften von Seiten Dritter. Hinzu kamen eigene Fehler in Rennen (die er allerdings nicht näher schildert), schwere Stürze und schlechte Platzierungen – am Ende besiegelte all dieses das Ende seiner Laufbahn.

Bewertungen: Ganz ohne Frage handelt es sich bei dem Buch um einen hoch-informativen und fesselnden Text, der einen wertvollen Beitrag zur Rennsport-Geschichte der Siebziger-Jahre leistet. Dessen ungeachtet darf angemerkt werden, dass auch Wünsche offen bleiben, weil bestimmte Aspekte nicht angesprochen werden. Dazu zählen beispielsweise die folgenden Punkte:

  • Im Hinblick auf technische Details wären mitunter präzisere Aussagen wünschenswert gewesen. Das gilt z.B. für die Arbeiten von Helmuth Fath beim Tuning. Auf welche Weise es diesem gelang, die Höchstleistung des Zweitakters zu steigern, ohne „die bereits unzureichende Leistung im unteren und mittleren Drehzahlbereich zu opfern“, dazu will Ekerold „nicht weiter ins Detail gehen“ (S. 20).

  • An anderer Stelle erfährt der Leser, dass „Solo“ als einer der Sponsoren ein Hersteller von Rasenmähern war, „Opstalan“ In Holland Isolierungselemente für Hausdächer fabrizierte. Für die Saison 1980 kam als neuer Sponsor „Solitude“ auf der Kombi und der Verkleidung der Maschine hinzu, ohne dass dieser Grau-Importeur im Text irgendwie Erwähnung fände.

  • Es wäre aufschlussreich, die Trainingszeiten vom WM-Endlauf auf dem Nürburgring mit denjenigen des Rennens zu vergleichen, denn Toni Mang wird eine Bemerkung zugeschrieben, derzufolge ihm nach dem Training ein Repräsentant von Champion vorgeblich verbesserte Zündkerzen angeboten habe, diese sich aber im Rennbetrieb als nicht vorteilhaft erwiesen hätten, ganz im Gegenteil nämlich insofern, als ihm dann 200 bis 300 Umdrehungen fehlten, weshalb er gegenüber Ekerold im Nachteil gewesen sei. (Gleichwohl war Mang einer der ersten, die Jon zu seinem Sieg gratulierten.)

Resumee: Ein hoch-informatives, fesselnd und sympathisch geschriebenes Buch, das den Vorder- und Hintergrund, im Weiteren auch den Glanz und das Elend der Rennsport-Szene für die Privateers während der Siebziger-Jahre eindrucksvoll widerspiegelt, ein wirkliches MUSS für jeden Rennsport-Fan. Zudem in der Herstellung sehr hochwertig und auch insofern ganz ohne Frage „sein Geld wert“.


Autor: Manfred Amelang


Jon Ekerold. Der Privatfahrer. ISBN 978-3-9824334-7-9. Erhältlich beim Autor, Adresse: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, gegen Voreinsendung des Kaufpreises von 35 Euro plus 5 Euro für den Versand


Fotos: Archiv classic-motorrad.de