Über Kuriositäten und andere Begebenheiten auf und neben der Strecke
Anekdotisches aus dem Motorrad- Rennsport - Teil 1

von Manfred Amelang
KuriositaetenSchottenLanzMa
Vorbemerkungen: Während der zurückliegenden Feiertage und den Jahreswechsel bestand reichlich Muße, in alten Journalen und Almanachen zu schmökern. Einige Ereignisse sind dabei wieder in Erinnerung gekommen, die für die Vielfalt an kuriosen, heroischen und tragischen Begebenheiten im Motorrad-Rennsport sprechen und Anlass sein mögen, darüber zu schmunzeln oder nachzudenken, die Akteure zu bewundern oder auch Betroffenheit zu empfinden. Nachfolgend sollen einige davon geschildert werden, um die lange Zeit des Wartens auf den Beginn der neuen Saison etwas zu verkürzen. Sozusagen „dem Wesen der Sache“ entsprechend stammen viele der Begebenheiten von den Rennen auf der Isle of Man, der „Road Racing Capital of the World“. Diesen gilt deshalb nachfolgend die erste Sammlung von Storys. (Eine weitere wird demnächst folgen und sich mit Ereignissen in Deutschland beschäftigen.)
Ein generelles Problem bestand im Aufstöbern von dazu gehörigen Fotos, und zwar einfach deshalb, weil es sich bei vielen der Begebenheiten um gleichsam „verdeckte“ Aktionen handelte, die selbst kaum fotographisch abzubilden sind oder einfach niemand anwesend oder in der Lage war, ein Foto machen zu können. Deshalb treffen die beigefügten Bilder die Thematik häufig nicht im Kern, sondern allenfalls am Rande.

Eine starke Ansage

Oliver Wise webBereits drei Jahre aus dem aktiven Geschehen ausgeschieden, behauptete der vierfache Gespann-Weltmeister Eric Oliver, er würde es schaffen, im Rennen zur 1958er TT mit einer serienmäßigen Norton-Dominator unter den ersten 10 ins Ziel zu kommen. Wie es ihm gelang, den Offiziellen die Genehmigung zu einem Start abzuringen, ist heute nicht mehr feststellbar. Jedenfalls trat er an, die Maschine straßenzugelassen, also unter anderem mit Lampe und Rücklicht versehen, der Motor aber mit zwei Vergasern und Megaphonen bestückt, im voluminösen Watsonian-„Monaco“-Seitenwagen als Passagier Pat Wise, eine durchaus erfahrene Solo-Fahrerin. Sie hatte nichts weiter zu tun, als nur mitzufahren, nichts von wegen Turnen und Herauslegen, dafür war das „Boot“ denkbar ungeeignet. Und was geschah? Oliver wurde mit ihr exakt Zehnter! (Nicht Letzter, weil noch weitere Fahrer ins Ziel kamen, aber doch überrundet. Vier Jahre später verunglückte er im Training zu den TT-Rennen sehr schwer und musste seine Karriere, in der er nie offizieller Werksfahrer für Norton gewesen war, für immer beenden.)

Oliver/Wise in Braddan Bridge:Pat Wise schaut, dass das Rad nicht den Randstein touchiert Dasselbe Paar im Vor-Training, bei Hillberry. Oliver in Halbschuhen!
Oliver/Wise in Braddan Bridge:Pat Wise schaut,
dass das Rad nicht den Randstein touchiert
Dasselbe Paar im Vor-Training,
bei Hillberry. Oliver in Halbschuhen!

Ein verspäteter Start und seine Folgen

Im Senior-Race von 1981 kam der Führende Graeme Crosby, ein Mann aus Neu-Seeland, auf seiner Suzuki RG 500 in der letzten Runde in Sign-Post, also kurz vor dem Ziel, von der Piste ab und landete nach einem beträchtlichen Abflug jenseits des begrenzenden Erdwalls; die Maschine, die neben der Strecke liegen geblieben war, lief noch, als Crosby zu ihr zurückkam. Er richtete sie auf und kam noch immer als Erster ins Ziel – die meisten Kommentatoren hatten nur bemerkt, dass er für die letzte Runde etwas mehr Zeit benötigt hatte, und sie hatten bereits ihre Renn-Berichte in den Ticker gegeben, als sie später von den genaueren Umständen erfuhren – die deshalb lange unbekannt blieben. Zweiter wurde sein Stallkamerad Mick Grant, gefolgt von den drei Honda-Fahrern Dunlop, George und Haslam, die alle in schwarzes Leder gewandet waren und ihre Verkleidungen schwarz bemalt hatten. Warum dieses?

KnaGraeme Crosby beim Sprung über Ballaughpp eine Woche zuvor hatte am Eröffnungs-Samstag das Formula One-Rennen stattgefunden. Aus Gründen, die nicht mehr eruierbar sind, hatte Crosby beim Start den ihm zugedachten Platz in der Reihenfolge der Starter verpasst; er musste deshalb als Letzter überhaupt von allen Startern ins Rennen gehen, ohne dass ihm die Zeit-Differenz zwischen seinem ursprünglichen und dem nunmehr letzten Platz gutgeschrieben wurde. Zunächst wurde Ron Haslam auf Honda als Sieger gewertet; erst nach einem Protest von Suzuki erhielt Crosby die verpasste Zeit gutgeschrieben, was ihm dann den Sieg einbrachte.

Aus Protest gegen diese Entscheidung der Rennleitung und deren vorgeblich antiquiertes Organisations-Management war die Trauer-Farbe schwarz gedacht - aber im Nachhinein konnte das auch so gedeutet werden, dass Honda die komplette Niederlage vorher schon irgendwie geahnt zu haben schien und deshalb Trauer trug..


Zwei Stürze in Sarahs Cottage

Hailwood zieht die Maschine aus den Strohballen und tritt etwas zurechtWelchem Druck mitunter Veranstalter ausgesetzt sind und daraus Verstöße gegen die Regeln von Fairness und Gerechtigkeit resultieren, mag aus den beiden nachfolgenden, völlig unterschiedlichen Begebenheiten ersichtlich werden: In dem legendären Senior-Rennen von 1965 kämpften Giacomo Agostini und Mike Hailwood um den Sieg. Zunächst kam Ago, auf nasser Piste in Führung liegend, in einer der Biegungen bei Sarahs Cottage zu Fall. Eine Runde später passierte dasselbe Missgeschick – welch unglaublicher Zufall – an derselben Stelle dem nunmehr Führenden Hailwood. Er blieb aber unverletzt, konnte sich wieder aufrappeln und ein paar Dinge am Gerät wieder zurecht biegeRM 61 1n. Freilich war der Motor ausgegangen, und die Maschine hier angesichts der Steigung der Piste wieder anzuschieben, schien aussichtslos. Also rollte „Mike the Bike“ entgegen der Rennrichtung bergab, die Maschine sprang an, Hailwood nahm das Rennen wieder auf – und gewann. Jeder der Eingeweihten wusste, was passiert war, aber keiner wollte gegen den äußerst populären Hero Protest einlegen, auch die Marshals rührten sich nicht – man hätte einen solchen „Denunzianten“ wohl Zeit seines Lebens geächtet…

Hailwood umrundet Quarter Bridge, die Verkleidungs-Scheibe ist abgebrochen

Wieder in voller Fahrt, hier nach Quarter Bridge, Sturzfolgen an Verkleidung und den Auspuffen

 

 

 

Nächtliches Training

In graueDe Rosier bei Tageslicht an Stella Marisr Vorzeit war Indian auf der Insel ziemlich erfolgreich, was die Produzenten britischer Motorräder dazu veranlasste, bei der Regierung gegen die Zulassung der Amis zu protestieren – freilich erfolglos. Nach seiner Strategie für das Senior-Rennen von 1911 gefragt, antwortete Jacob (“Jake“) De Rosier, der Starfahrer von Indian, er versuche, den Kurs sehr sorgfältig zu lernen – auch im Dunkeln. “Es gibt einfach nichts Besseres! Zum einen wird man dabei nicht vom alltäglichen Geschehen und der gesamten Szenerie abgelenkt. Und zum anderen: Wenn man den Kurs sich eingeprägt hat bei Mondschein und dem Leuchten der Sterne, dann ist es ein Kinderspiel, ihn im hellen Tageslicht zu befahren…“ Im Rennen führte er die erste Runde vor Charlie Collier, der ihn aber alsbald überholte, und beim Versuch, dessen schnelle Matchless einzuholen, stürzte er schwer und wurde später, auf dem 12. Platz liegend, wegen der Inanspruchnahme fremder Hilfe disqualifiziert. Nicht sehr viel besser erging es freilich auch Collier, der zunächst als Zweiter abgewinkt wurde, dann aber auf Grund eines Protests des siegreichen Indian-Teams wegen Sprit-Aufnahme an unerlaubter Stelle ebenfalls disqualifiziert zu werden. Offizielle Benzin-Depots gab es damals nur in Ramsey und Douglas.


Wie sich das Tankvolumen verkleinern lässt, von innen und von außen

1979-mick-grant-graeme-crosby-scarboroughUm bei dem Thema „Proteste“ zu bleiben: Im Jahr zuvor, also 1980, waren der Kiwi Graeme Crosby und der Engländer Mick Grant noch keine Team-Kameraden, sondern in verschiedenen Lagern unterwegs: Crosby fuhr für Suzuki, Grant für Honda, und beide Teams beäugten sich argwöhnisch vor und nach dem Rennen der Formula One, das traditionsgemäß die TT-Rennen eröffnete. So übernahm Crosby aus taktischen Gründen die durch Nicht-Start eines Amerikaners frei gewordene Position 11 und wanderte auf diese Weise von seiner ursprünglichen Position Nr. 3 nach hinten, von wo aus er besser überschauen könnte, was sein Hauptkonkurrent Grant bewerkstelligen würde, der mit Start-Nummer 12 direkt hinter ihm ins Rennen ging. Die Führung wechselte zwischen den beiden Kontrahenten mehrfach, bis am Ende Grant mit 11 Sekunden Vorsprung der Sieg zuerkannt wurde. In seiner übergroßen Freude über diesen Erfolg hämmerte er im Sieger-Kreis neben der Tribüne mit der Faust mehrfach auf den Tank seiner Maschine ein und verbeulte damit das Aluminium ordentlich. Die Konkurrenz argwöhnte, es habe sich dabei um zielgerichtete Schläge gehandelt, um damit das Fassungsvermögen des Tanks zu verkleinern; dieses war nach Meinung der Konkurrenz nämlich mit 28 Litern deutlich größer als die erlaubten 24 Liter, weshalb ein Protest eingelegt wurde. Honda hielt dagegen mit der Behauptung, man habe durch Einlagern von leeren Flaschen und Tennisbällen die technischen Vorschriften eingehalten – was nach eingehenden Prüfungen bestätigt und Mick Grant der Sieg gelassen wurde.


Vergebliches Bemühen

Im ersten Jahr der gerade aus der Taufe gehobenen Weltmeisterschaft, also 1949, gewann der Engländer Leslie Graham auf einer 2-Zylinder AJS den Titel bei den 500ern. Später wechselte er zu MV Agusta und tat dort sehr viel für die Weiterentwicklung der unbändigen Halbliter-Vierzylinder. Allerdings stürzte er damit 1953 am Fuße von Bray Hill tödlich, einen Tag, nachdem er vor Werner Haas die 125er-Klasse gewonnen hatte.

(Das ist übrigens eine gesonderte Geschichte, die in der deutschen Presse einiges Aufsehen erregt hatte. Denn wenige Minuten vor dem Start der 125er hatte Graham einen Marshal herbeigerufen und auf die Stiefel des neben ihm wartenden Werner Hass verwiesen; deren Schäfte seien zu kurz und deshalb nicht regelkonform. Was tun in dieser vertrackten Situation? Ein neben der Piste stehender Clubman-Fahrer bot daraufhin dem NSU-Team seine Stiefel an, die Haas denn auch in fliegender Hast anzog. Ein paar Augenblicke später wurde freilich der Start des Rennens wegen widrigen Wetters auf den nächsten Tag verschoben – aber damit hatte die Öffentlichkeit ihren Aufreger und die Szene einen stillen Helden, John Elliott hieß der faire Zuschauer.)

Eine der Folgen des Todessturzes von Graham war, dass seine Witwe mit den beiden Söhnen nach England zurückkehrte und damit aus der freundlichen Geborgenheit der MV Agusta-Groß-Familie ausschied. Nach einer Serie von guten Ergebnissen als Privatfahrer wäre es wegen der Bindungen an die Italiener naheliegend gewesen, dass Stuart Graham, also einer der Söhne, für MV fahren würde, aber dort war kein Platz für ihn frei. Als Alternative bot sich für ihn Honda an, für die Stuart in den Mitt-Sechzigern recht erfolgreich war, nicht zuletzt auf der legendären Viertel-Liter-6-Zylinder (später auf den kleinen Suzukis). Nach dem Rückzug von Honda unternahm er große Anstrengungen, um für die 1968er-TT eine Werks-MV zur Verfügung gestellt zu bekommen. Ein ganz ungewöhnlicher Akt, elektrisierend für die Szene und ein potentieller „Knaller“ für die Zuschauer. Als er die frohe Botschaft vom Gelingen endlich den Veranstaltern zur Kenntnis bringen konnte, teilten ihm diese nur mit, die Melde-Frist sei gerade gestern abgelaufen, „sorry, wir wollen keinen Präzedenz-Fall schaffen..“

 KuriositatenStuGraham2007Stuart Graham auf Honda

Stu Graham einst (auf Honda) und jetzt: 2007 Centenary


Rekorde mit Handicaps

Harry Hinton sen:, 1958.zusammen mit August Balthasar im Fahrerlager von St. WendelEinäugig, einbeinig, einhändig – großartige Leistungen trotz persönlicher Handicaps: Die Chronisten haben natürlich registriert, wer auf diesem schwierigsten (und weitaus gefährlichsten) Kurs trotz körperlicher Beeinträchtigungen noch richtig schnell unterwegs gewesen ist. Nur auf einem Auge konnte Harry Hinton sen., sehen, nachdem er bei einem Verkehrsunfall in seiner Heimatstadt Sidney schwere Verletzungen davon getragen hatte. Im Jahr 1951 gehörte er zum offiziellen Team, das der australische Verband nach Europa entsandt hatte. Im Rennen der 350er-Maschinen lag der als „Fahrtiger“ apostrophierte Vater zweier nicht minder bekannter Söhne mit seiner Werks-Manx an zweiter Stelle, bis er dann in Laurel Banks schwer zu Fall kam, was ihn am Start der Senior hinderte, wo er immerhin Zweitschnellster im Training gewesen war.

Luthringhauser vor seinem MuseumNach der Amputation seines linken Beines musste Heinz Luthringhauser mit einer Prothese sein BMW-Gespann bewegen, und trotzdem schaffte er – neben zahlreichen weiteren Erfolgen – trotz dieses Handicaps im Jahre 1974 den Sieg bei den Side-Cars auf der Isle of Man.

Mitchel vor seiner Maschine im Fahrerlager auf der Isle of ManUnd aktuell der Schnellste, der mit nur einem Arm das Rennen beendete, ist Chris Mitchel, ein Einheimischer, der in seinem zweiten Anlauf im letzten Jahr beim Manx Grand Prix einen Platz im Mittelfeld und damit eine Bronze Replica eroberte.


Alkohol am Lenker (neben der Strecke)

KuriositaetenBiereAlkohol am Lenker erweist sich immer wieder als gravierendes Problem. An Rennstrecken unterbleiben aber systematische Kontrollen üblicherweise; die Ursachen dafür sind verschieden und brauchen hier nicht dargelegt zu werden. Bemerkenswerter Weise können aber auch die *Folgen* von regelwidrigem Genuss geistiger Getränke erstaunlich sein. Ein Beispiel dafür nachfolgend (ein weiteres später in Teil II): Am Rande eines der TT-Rennen war ein zu seiner Zeit herausragender (und auch heute noch weithin verehrter) Fahrer, ein überregionaler Held und absoluter Publikums-Liebling, von der Polizei mit einigen Promille zu viel ertappt und deshalb in Gewahrsam genommen worden. Die Auswirkungen auf den Zustrom der Zuschauer zu der Veranstaltung wären beim Fehlen des zentralen Akteurs desaströs gewesen. Was tun angesichts dieser Gegebenheiten? Ganz einfach: Die Polizei geleitete den Delinquenten zu den Trainings-Einheiten einfach aus dem der Strecke benachbarten Verließ zu seinen Maschinen bei Start und Ziel – und holte ihn dort nach getaner Arbeit auch wieder ab. Fertig, allen war gedient, dem Team, den Zuschauern und dem Veranstalter. Bekanntlich braucht es für die Teilnahme an Rennen keiner amtlichen Fahrerlaubnis. Eine äußerst pragmatische Lösung..


Ein paar „Donuts“ und ihre Folgen

Ob AlkohFreundlicher Bobby als guter Mitspielerol dabei eine Rolle gespielt hat, ist nicht mehr sicher festzustellen, ist aber durchaus etwas wahrscheinlich, weil sich die Begebenheit am späteren Abend in Gegenwart eines größeren Kreises belustigter Zuschauer ereignete. Es war zu der Zeit, als die Polizei noch nicht derart streng die Show-Einlagen von Fahrern (und häufig genug: ihrer oftmals nur halb bekleideten Beifahrerinnen) auf der Loch Promenade in Douglas ahndete, wie sie es seit den letzten Jahren systematisch tut. Jedenfalls hatte ein Biker sein Gerät in die Eingangshalle eines Hotels gehievt, sie dort gestartet und munter einige Donuts auf den Boden gebrannt. Der aufsteigende Rauch setzte die Feuermelder in Aktion, woraufhin das Hotel komplett evakuiert und die Feuerwehr alarmiert wurde. Als diese schließlich vor Ort auftauchte, brauchte es einige Zeit, bis sich der „Pulverdampf“ verzogen hatte und die Lage geklärt werden konnte…

Eine nicht ungefährliche Landung nach dem Sprung über die Ballaugh-Brücke (Carl Rennie, Senior TT 2006)Früher, als die abendlichen „Darbietungen“ der Fahrer auf der Promenade an der See (darunter Wheelies, Stoppies, halb- oder splitternackte Sozias, in Fahrt- oder in Gegenrichtung auf der Maschine sitzend usw.) noch weniger streng verfolgt wurden, lieferte die Polizei geradezu Musterbeispiele von pädagogisch sinnvollem Handeln. Eines davon erlebte ein Freund von mir, der in den frühen Achtziger Jahren erstmals auf der Insel war und zwischen den Rennen den Mountain-Course auf seiner Maschine umrundete. Bei Ballaugh war er etwas zu schnell unterwegs, natürlich auch deshalb, um wenigstens ansatzweise das Feeling zu erahnen, wenn die Profis bei viel höherem Tempo an der Brücke abheben. Vor dem Haus, an dessen Wand ein Schild an den hier tödlich verunglückten Karl Gall erinnert, stand ein Polizist, der das Geschehen beobachtet hatte; er erhob seinen Arm und winkte den „Delinquenten“ zu sich heran. Entgegen der aufkommenden Befürchtung musste der Fahrer weder eine Geldstrafe zahlen noch gar seine Maschine abliefern, Vielmehr bedeutete ihm der Bobby, rumzudrehen und die Brücke noch einmal zu befahren – dieses Mal aber „slow“, und beim nunmehr regelkonformen Vorbeifahren nickten Polizist und Fahrer einander zu und bedeuteten, dass sie einander verstanden hatten.


Die Geschichte(n) vom Sturz in den Pub von Ballacraine

Eric Hinton, der ältere der beiden Söhne des bereits erwähnten Harry Hinton sen., schaffte in seinem zweiten Jahr in Europa (also 1957) auf der Insel im Lauf der 350er einen starken fünften Platz, weil er der erste Privatfahrer nach den vier Werks-Piloten McIntyre (Gilera), Campbell (Guzzi), Brown (Gilera) und Surtees (MV Agusta) war. Nach diesem achtungsgebietenden Ergebnis sah es nach einem guten Ergebnis auch in der Senior aus, wie sich Hinton sehr viel später gegenüber Don Cox als dem Autor des Buches „Circus Life – Autralian Motorcycle Heroes 1949-1989“ äußerte. Diese Zuversicht währte allerdings nur bis zur letzten Runde. Möglicherweise auf Grund einer momentanen Unkonzentriertheit infolge der enormen Dauer des über 400 km langen Rennens, vielleicht ließen im entscheidenden Moment auch die Bremsen etwas nach, jedenfalls ging Eric die Straße aus, als er bei dem hier hohen Tempo den Rechts-Knick von Ballacraine anbremsen wollte. Der „Notausgang“ geradeaus war durch ein Seil versperrt, das ein Streckenmarshall bei Bedarf hätte anheben müssen; doch der schaute in diesem Augenblick woanders hin, also musste Eric versuchen, die Kurve doch noch zu kriegen – vergebens, es reichte nicht, Fahrer und Maschine krachten in die Eingangs-Tür des hier linker Hand stehenden Pubs. Rahmenbruch, Aus. „Es gab nichts anderes mehr zu tun, als einen Drink zu bestellen“, meinte Eric sarkastisch.

Eine Aufnahme aus den Zwanziger-Jahren, noch ohne „Notausgang“. Der Eingang ist der hinter dem „N“ auf dem weißen Transparent 1964 vor dem Ballacraine Pub Raymond Ainscoe mit seinem Vater
Eine Aufnahme aus den Zwanziger-Jahren, noch
ohne „Notausgang“. Der Eingang ist der hinter
dem „N“ auf dem weißen Transparent
1964 vor dem Ballacraine Pub
Raymond Ainscoe mit seinem Vater
Schon in den Dreißiger-Jahren scheint es einen vergleichbaren Unfall gegeben zu haben, auf den in dem Film „No Limit“ eingegangen wird; entgegen den dort getroffenen Feststellungen soll aber - wie es in einer Anmerkung von Ainscoe heißt - nicht George Shuttleworth der unglückliche Fahrer gewesen sein, sondern einer seiner Konkurrenten, na ja, jetzt wissen wir es…

Ein episches Drama

Friedhof von Maugold im Nordosten der InselAuf der Insel in der Irischen See ereignen sich jedes Jahr viele Dramen, aber das folgende ist besonders tragisch: Es war Mitte der Neunziger-Jahre, als eine Frau mit ihren zwei Töchtern zur Isle of Man aufbrach, um dort, dem letzten Willen ihres verstorbenen Mannes entsprechend, dessen Asche zu verstreuen. Nachdem dieses erledigt war, blieb vor der Heimreise nach England noch etwas Zeit, sich eines der Rennen anzuschauen. Zusammen mit den Kindern nahm sie auf dem Erd- und Graswall ausgangs von Brandish Platz, um das Geschehen zu verfolgen. Gegen Mitte des Rennens verlor an dieser schnellen Biegung ein Fahrer aus Übersee, der zum ersten Mal auf der Insel angetreten war, die Kontrolle über sein Gerät; die Maschine schleuderte die Böschung hinauf und traf die Familie, mit verheerenden Folgen für eines der Kinder – schrecklicher hätte es nicht ausgehen können. Ein paar Tage später trafen wir den verunglückten Fahrer, der sich lediglich an der Hand verletzt hatte, auf dem überfüllten Schiff zurück nach Heysham; er saß direkt neben uns – eine bedrückende Situation, wir wechselten keine Worte, obwohl oder weil wir wussten, was passiert war, aber was hätte man auch Bedeutsames sagen können?


Quellen:
Ainscoe, R. (2007) The TT Races. A Photographic History. Illkley: Illkley Racing Books

Cannell, G. & Watterson, J. (2007). TT Centenary Souvenir Edition, Douglas: Publishing House

Macauley, T. (1971). Mike Hailwood. Stuttgart: Motorbuch Verlag

Wright, D. (2006). TT Topics & Tales. Laxey: Amulree Publications

Fotos:
Eggersdorfer, Macauley, Ainscoe, Cannell & Watterson, Wright, Amelang, Archiv ‚Manx’,  Bill Dobson, Bacon,R. (1981). Norton Twins. London: Osprey Publishing.

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