Moto-GL-Kaleidoskop
Beobachtungen und Notizen aus dem Fahrerlager und von der Strecke
 

Michelvonhintenoben
Skurriler Eigenbau:
Nachtrag zu einem Auftritt in Hockenheim 2014

 

Rückblende: Zweifellos stellte es eine Bereicherung der Szene dar, dass beim Finale der zurückliegenden Saison der BMW-Tuner Günter Michel mit seinem Team wieder einmal dabei war. Berufliche und persönliche Gründe hatten in der Vergangenheit beim VFV nur sporadische Auftritte erlaubt. Mitgebracht hatte er drei Maschinen: Zum einen eine „große“Maschine mit 840cc, die unter dem Fahrer Norbert Sturm an den Start gebracht wurde, und zum anderen die „kleine“ Zwei-Zylinder, nämlich eine R 45 mit 473cc, die er selbst pilotierte.
MichelVorstart
Mit diesem etwa 50 PS starken Gerät war er in den Trainings- und auch den Wertungs-Läufen „gut mit der Musik dabei“; die besten Zeiten lagen etwas höher als 2:07min. Allerdings warf ihn in der letzten Runde des zweiten Laufes ein schwerer Sturz aus dem Sattel; die Folgen waren erheblich: Günter wurde mit dem Hubschrauber in die Chirurgie nach Heidelberg geflogen, wo man zahlreiche Brüche und innere Verletzungen diagnostizierte. Dieses machte einen längeren Aufenthalt in der Klinik mit anschließender Rehabilitation notwendig. Seit geraumer Zeit ist er aber erfreulicher Weise wieder hinreichend genesen, zwar noch nicht beschwerdefrei, aber doch in einem Zustand, der einen Besuch bei ihm erlaubte –- um etwas mehr über die dritte der seinerzeit in Hockenheim präsentierten Maschinen zu erfahren: Dabei hatte es sich augenscheinlich um eine Einzylinder auf der Basis der R 100 gehandelt, also einem Zwei-Zylinder! Die jähe Abreise des Teams nach dem Sturz des Chefs hatte es allerdings unmöglich gemacht, diese Maschine etwas näher zu betrachten. Das konnte in den zurückliegenden Tagen nachgeholt werden.

MichelaufGeraetNah-Aufnahmen: Das Herzstück des 2004 aufgebauten Motors besteht tatsächlich aus dem rechten Zylinder incl. Kopf eines Vierventil-Boxers aus der ersten Generation der neuen Modell-Reihe, also mit hoch-gelegter Nockenwelle. Dieser Zylinder wurde aufgerichtet und auf das Kurbelgehäuse einer R 100 gesetzt, von der auch die Schwungscheibe, Kupplung und Ölwanne übernommen wurden. Eine von den vielen für eine derartige Konfiguration notwendigen Arbeiten bestand im Verschließen der großen „Höhle“ auf der linken Seite des Gehäuses, wo vorher einer der beiden liegenden Zylinder gearbeitet hatte. Auf der rechten Seite wurde nach entsprechender Bearbeitung eine Mechanik zum Antrieb für die Nockenwelle angeordnet, die ihrerseits durch ein Modell der Fa. Schleicher ersetzt wurde. Durch Verwendung der R100-Kurbelwelle blieb der ursprüngliche Hub mit 70,5 mm erhalten, doch wurde die Bohrung von 99mm auf 101mm erhöht und ein Kolben der R 1200C verwendet. Der damit entstandene Ultra-Kurzhuber weist somit einen Hubraum von 565cc auf. Auf dem sozusagen frei gewordenen Kurbelzapfen wurden Ausgleichsgewichte angebracht. Das Gasgemisch bei dem aktuellen Modell wird in einem Bing-Unterdruck-Vergaser mit 40mm Durchlass aufbereitet (es existiert auch eine Variante mit Einspritzung), die Zündung ist serienmäßig Bosch. Verdichtung 11,0. Das Aggregat leistet 55 PS bei 9.000 Umdrehungen. Eingehängt wird der Motor in einen überarbeiteten Rahmen der R 65, von der auch die Gabel und Federbeine stammen. Der Auspuff stellt eine Eigenkonstruktion dar.

 MichelDraufsichtvrechts MichellinkeSeite
Unten rechts am Motor das Gehäuse für den Nockenwellenantrieb Linke Seite; man sieht gut die zugeschweißte "Höhle" für den ursprünglich hier arbeitenden linken (Boxer-)Zylinder

Insgesamt handelt es sich fraglos um eine kreative Arbeit, bei der ein wettbewerbsfähiges Gerät geschaffen wurde unter Verwendung von zahlreichen Serien-Teilen, die freilich unter enormem Arbeitsaufwand erst miteinander kompatibel gemacht werden mussten. Das Resultat ist ein Produkt von eigenwilligem Charakter und hoher Eigenständigkeit.

Perspektivisches: Ob sich die eigenwillige Konstruktion in das Klassement des VFV einfügen ließe, müsste zu gegebener Zeit von den zuständigen Instanzen entschieden werden. Einerseits ist zu hören, dass die historische Kommission nunmehr „die Zügel straffen“ wolle, was immer das auch bedeuten mag, wo doch gerade ein Mann aus der Verantwortung geschieden ist, der wie kein Anderer für historische Authentizität gestanden hat. Andererseits sehen wir auch weiterhin Maschinen, bei der es die Komponenten sind, deren Geschichte verbürgt ist, nicht aber deren Gesamt-Konfiguratiion. Möglicher Weise ist ein Einsatz in Wettbewerben auch gar nicht angedacht, sondern die Arbeit eher eine Art „Werkstück“ und Beispiel dafür, was alles möglich ist.

Was die Verwendung angeht, so spielt natürlich der Konstrukteur und Fahrer der Maschine eine zentrale Rolle. Und in Bezug darauf deutet sich an, dass die Mühen und Leiden bei der Überwindung der Sturzfolgen – was natürlich unschwer zu verstehen ist -- zumindest momentan eine gewisse Abstinenz für eigenes Fahren geraten lassen. Das freilich muss nicht bedeuten, dass wir Günter in Zukunft nicht im Fahrerlager sehen würden…


Michelvonhintenrechts


Text: Manfred Amelang, Fotos: Nowak (1), Amelang

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