Eine Kurz-Zusammenfassung vorab: Das Ziel unserer Recherche bestand darin, einiges an Informationen über die in den „Goldenen Jahren des Motorradrennsports“ üblichen Start- und Preisgelder zu sammeln. Dabei interessierte unter anderem deren Streubreite in Abhängigkeit von der Prominenz der Fahrer sowie deren Unterschied zum durchschnittlichen Einkommen von weiten Teilen der Bevölkerung. Nach ersten Schritten einer Sichtung einschlägiger Literatur und mehreren Interviews mit ehemaligen Fahrern musste das Vorhaben wegen der im Zuge der Corona-Krise verhängten Kontakteinschränkungen, und zwar insbesondere deren unabsehbare Dauer, abgebrochen werden. Einige der bis zu diesem Zeitpunkt ermittelten Daten und der daraus abgeleiteten Rückschlüsse sollen gleichwohl nachfolgend mitgeteilt werden.
Zum Hintergrund: Unlängst musste die Fachwelt zur Kenntnis nehmen, dass in der Moto 2 das Kiefer-Team für die Saison 2020 keinen Startplatz mehr erhalten würde. Maßgeblich dafür war der Umstand, dass die FIM grundsätzlich jeweils zwei Fahrer pro Rennstall fordert – und der dafür notwendige Zusatz-Aufwand von mehreren hunderttausend Euro war nicht zu stemmen. Einmal mehr war damit offenkundig geworden, dass es sich beim internationalen Motorsport um ein knallhartes Geschäft handelt, bei dem die beteiligten Organisationen sowie die Fahrer enorme Summen bewegen; generiert werden diese Gelder hauptsächlich durch die Vergabe von TV-Rechten und Lizenzen aller Art, die Einbeziehung von Sponsoren und die zahlenden Zuschauern vor Ort.
Konkret kalkuliert ein Rennstall in der Moto 2 oder 3 pro Saison aktuell mit ca. 2 Millionen Euro; in einem guten Team muss ein Fahrer etwa 500.000 Euro mitbringen. Moto GP 1-Werksfahrer erhalten mehr als 1 Mio; von Marques und Rossi werden Beträge von mehr als 10 Mio Euro kolportiert.
Besteht in Bezug auf diese Rahmenbedingungen immerhin eine gewisse Transparenz, verlieren sich die Gegebenheiten während der „Golden Fifties“ des letzten Jahrhunderts sowie der sich daran anschließenden beiden Jahrzehnte weitgehend im Ungewissen und in Vermutungen. Abgesehen von wenigen Ausnahmen breiten die Autoren von Selbst- und Fremdbiografien gewöhnlich das Mäntelchen des Schweigens über diese Thematik aus, sei es, weil es an verlässlichen Kenntnissen über die Materie schlicht fehlt, oder diese aus mehr oder weniger verstehbaren Gründen „unter der Decke“ gehalten werden sollten.
Im Hinblick darauf schien der Versuch reizvoll, einen Blick hinter den Vorhang des allgemeinen Stillschweigen zu werfen. Dabei wollten wir uns auf die „Goldenen Fünfziger-Jahre“ des Motorrad-Rennsports sowie einige Jahre danach beschränken, eine Epoche mithin, in der in allen Solo-Klassen neben mehreren miteinander konkurrierenden Werksställen auch zahlreiche Privatfahrer an den Start gingen, die mit den Rennen faktisch ihren Lebensunterhalt bestritten – und das meist fern von ihrer Heimat. Im Rückblick braucht nicht mehr ernsthaft Rücksicht auf möglichen Neid und Missgunst der Konkurrenz genommen zu werden, und etwaige Verzerrungen des Wettbewerbs kommen natürlich ebenfalls nicht in Betracht.
Zur angedachten Methodik: Einer der Zugänge zum Untersuchungsgegenstand bestand in der Auswertung zeitgenössischer Magazine und Bücher sowie die eigene Erinnerung an einschlägige Berichte aus der früheren Zeit. Die dabei erschlossenen Quellen waren aber, wie bereits angedeutet, allenfalls mäßig ergiebig. Ein zweiter Ansatz bestand darin, Akteure von damals sowie Zeitzeugen zu befragen; letztere hätten aus der Kenntnis des Geschehens in der Szene zumindest Hinweise geben können. Allerdings erwies sich bald, dass das Vorhaben reichlich spät, wenn nicht gar zu spät, angegangen worden war, denn die Begebenheiten, um die es geht, liegen z.T. mehr als ein halbes Jahrhundert zurück – und dementsprechend sind die Rennleiter und Fahrer von damals bereits hoch-betagt (was die Erinnerungen etwas beeinträchtigt haben mag), wenn nicht gar schon tot. Bei den erreichten Kontaktpersonen war die Bereitschaft zu Auskünften mehrheitlich zwar gegeben, doch fielen manche Angaben recht vage aus; mitunter gab es weitschweifige Darlegungen, die gleichwohl häufig genug an der Sache vorbeigingen. In einem Fall erklärte der angesprochene Fahrer verbindlich, nichts sagen zu wollen, gerade weil es sich bei der Thematik um ein „Dunkelfeld“ handele und dieses so bleiben solle.
Mitten in den bereits durchgeführten oder für die Zukunft vereinbarten Gesprächen entwickelte sich die Corona-Pandemie mit den damit verbundenen Kontakt- und Bewegungseinschränkungen. Weil deren Zeitdauer unabsehbar ist, wollten wir das gesamte Vorhaben zunächst ad acta legen. Andererseits boten die verordneten Ausgangsbeschränkungen reichlich Gelegenheit, sich am heimischen PC („Home Office“) mit bereits gesammeltem Material zu befassen und es für eine Story aufzubereiten. Mit dieser könnte zu Zeiten, die wegen der eingeschränkten Bewegungs- und Kontaktfreiheit mehr Gelegenheit für Muße und Lektüre bietet, vielleicht sogar eine ansehnliche Zahl von Interessierten erreicht werden – zumal im Augenblick auf den Rennstrecken jeder Betrieb untersagt und deshalb nichts los ist.
Angesichts der geschilderten Begebenheiten und Umstände können die gesammelten Daten keine Basis sein für eine systematische Analyse, sondern allenfalls fragmentarische Anhaltspunkte über zum Teil skurrile Begebenheiten – aber deshalb kaum weniger bezeichnend.
Darlegungen: Kurz vor seinem Tod im Jahre 2006 hat Umberto Massetti in einem Interview dargelegt, in der Frühzeit seiner Karriere von Gilera monatlich 50.000 Lire bekommen zu haben. In jener Zeit habe ein Arbeiter im Werk ca. 35.000 Lire verdient. Damals entsprachen 1 Mio Lire in etwa 7.000 DM, d.h. die eben genannten Beträge beliefen sich auf ca. 350.-DM bzw. 245.-DM. Nachdem Masetti 1952 auf der 4-Zylinder-500er die Weltmeisterschaft errungen hatte, habe Gilera sein Salär verzehnfacht, also auf ca. 3.500 DM monatlich angehoben. (Das entsprach damit dem ca. 14-fachen des Arbeiter-Verdienstes.) Ab 1953 habe Duke, der von den Italienern von Norton abgeworben worden war, jährlich 10 Mio Lire bekommen, also umgerechnet etwa 70.000 DM (was hinreichend deckungsgleich ist mit den damals in deutschen Berichten genannten 60.000 DM), während man Masetti zur selben Zeit nur ca. ein Viertel davon angeboten habe (s. dazu MOTORRAD CLASSIC SPEZIAL, 2019, S.47). Mit anderen Worten: Als Werksfahrer verdiente man mehr als das Zehnfache eines Arbeiters (was nicht verhinderte, dass Masetti später ziemlich mittellos endete), und auch zwischen den Fahrern innerhalb eines Teams bestanden beträchtliche Unterschiede in der Vergütung – und diese Unterschiede waren einer der Gründe für die allgemeine Verschwiegenheit; die „Diskretion“ brachte die Werke und Sponsoren in eine bessere Verhandlungssituation beim Vertragspoker, und sie vermied Neid und Missgunst innerhalb des Teams.
Die aus der Unterschiedlichkeit resultierende Spannung ist auch für das Werksteam von Jawa verbrieft, das 1969 aus Frantisek Stastny und Bill Ivy bestand. Als Stastny herausbekam, dass Ivy ein ungleich höheres Salär als er bekommen hatte, schmiss er nach 15 Jahren als Werksfahrer die Brocken hin – vielleicht hatte er aber bereits geahnt, dass sich Jawa kurz darauf sowieso aus dem Rennsport zurückziehen würde…
Für das Rennen in Hohenstein-Ernstthal hatte Ivy mit einem Schreiben vom 28.5.69 vom Veranstalter ein Startgeld von 275 Pfund Sterling (= ca. 4.000 DM nach damaligem Wechselkurs; nach heutigen Maßstäben fast 12.000 Euro) plus 2.500 Ostmark verlangt. Für die damaligen Verhältnisse war das eine enorme Summe, die die um Devisen notorisch klammen Veranstalter in der damaligen DDR vor eine große Herausforderung gestellt haben müssen. Des Weiteren widerlegt die geforderte Summe den weithin herrschenden Irrglauben, wonach die Startgelder bei WM-Läufen eher niedrig waren, weil gute Platzierungen für die Fahrer eine Voraussetzung dafür gewesen wären, bei *nicht* zur WM zählenden Läufen dann gutes Geld verdienen zu können.
Bevor sich Mondial Ende 1957 aus der WM zurückzog, erhielt ihr Werksfahrer Cecil Sandford eine jährliche Grund-Vergütung von 1.200 Pfund. Dem damaligen Wechselkurs zufolge entsprach 1 Pfund Sterling ca. 12 DM, was also ca. 14.000 DM gewesen wären (oder ca. 115 DM im Monat). Hinzu kamen Prämien für Siege und vordere Platzierungen. Beispielsweise gab es für den Sieg auf der Isle of Man nicht weniger als 1.000 Pfund (= 12.000 DM) – ein weiteres Zeichen für die enorme Bedeutung dieses Rennens.
Bill Lomas spricht in seinem Buch sehr ausführlich über Verhandlungen mit Moto Guzzi und anderen Werken, ohne allerdings auch nur eine einzige konkrete Summe zu nennen.
Nur ein paar Jahre später sah der Vertrag, den Frank Perris mit Suzuki abgeschlossen hatte, ein Salär von 1.100 Pfund vor, nachdem er zuvor von AJS nur 200 erhalten hatte (also ca. 13.000 bzw. 2.400 DM).
Generell trafen insbesondere auch die Privatfahrer individuelle Vereinbarungen mit den Zulieferfirmen, wie Castrol, Renold, Avon, Dunlop sowie Lucas und weiteren. Je nach dem Rang der Fahrer und ihren sonstigen Verträgen ergaben sich daraus Einnahmen in mehr oder weniger „auskömmlicher“ Höhe. Diese Summen waren dem Vernehmen nach in aller Regel sehr viel höher als die „Grundbezüge“ von den Werken.
In Deutschland wurde insbesondere über die Vertragslage der NSU-Werksfahrer in den frühen Fünfziger-Jahren spekuliert. Nach dem Rückzug Ende 1954 sollen die Werksfahrer Haas, Baltisberger und H.P. Müller „bis auf weiteres“ den Grundbetrag von 350 DM monatlich erhalten haben. Das entsprach in etwa dem Verdienst eines durchschnittlichen „Werktätigen“ zur damaligen Zeit. Zumindest Werner Haas, der durch seinen Sieg auf der Solitude 1952 den Grundstein für einen kometenhaften Aufstieg in der Renn-Szene und zum „Sportler des Jahres“ gelegt hatte, muss darüber hinaus durch seine Erfolge ein sehr ansehnliches „Zubrot“ verdient haben, konnte er sich davon doch in kürzester Zeit einen Mercedes 300SL (Flügeltürer) und ein Motor-Flugzeug leisten (mit dem er 1956 tödlich verunglückte). Die finanziellen Ressourcen und die Übernahme einer Großtankstelle in günstiger Lage waren jedenfalls so attraktiv, dass Haas sich darauf zur Ruhe setzen konnte.
Hingegen setzten „H.P.“ und Baltisberger auf der Einzylinder-Sportmax ihre Karriere fort, wobei sich „Baltis“ – im Unterschied zu Müller – zunächst auf Rennen konzentrierte, die nicht zur WM zählten, weil er (irrtümlich, wie sich bald herausstellen sollte) zunächst der Ansicht war, beim Antreten in der WM sei er chancenlos. NSU hatte für jeden der Fahrer eine Lebensversicherung in Höhe von 59 Tsd DM abgeschlossen, einen Betrag, den nach dem Unglück in Brünn 1956 die Witwe von Baltis ausbezahlt bekam. Start- und Preisgeld waren im Erfolgsfall ansehnlich. So berichtet Albert Kleindienst, der Helfer von Baltis, dass bei der „Coppa d`Oro Shell“ in Imola sein Chef nach der Veranstaltung einen Betrag erhalten habe, der einen richtigen Bündel sehr großer Scheine ausgemacht habe, u.z. so viel, dass Albert das Geld im Wert von etwa 10.000 DM an sich nehmen und vorweg laufen sollte, gefolgt von Baltis, der ihm „im Fall des Falles“ dann helfend zur Seite gesprungen wäre. Aber über das jeweilige Startgeld seines Chefs kann auch er keine konkreten Angaben machen.
In den Sechziger-Jahren konnten Privatfahrer bei Veranstaltungen wie dem Mai-Pokal-Rennen in Hockenheim mit einem Startgeld-Angebot von 1.500 DM rechnen; je nach Bekanntheitsgrad und Verhandlungsgeschick des Fahrers ließen sich aber auch bis zu 2.500 DM erzielen. Generell handelte es sich dabei offenbar um ein eher frei verhandelbares Geschehen ohne strikte Vorgaben oder Regeln.
Kuriose Situationen ergaben sich mitunter bei Veranstaltungen im seinerzeitigen „Ostblock“, weil die betreffenden Länder unter einem chronischen Mangel an Devisen litten und das ausgeschüttete Start- und Preisgeld nicht außer Landes gebracht werden durfte. Einmal hätten Baltis und er, so berichtet Albert weiter, von der Landeswährung ein komplettes Schlafzimmer gekauft und das auf das Dach ihres Peugeot geladen, wie „Zigeuner“ seien sie daher gekommen. An der Grenze hätten sie den neuen Besitz als „Gewinn“ deklariert, weil im Falle von „Kauf“ Zoll-Gebühren fällig gewesen seien. Ansonsten wären Kompensationsleistungen in Form von Radios, Uhren oder Fotoapparaten (Contax!) durchaus üblich gewesen.
Woran sich vielleicht nicht mehr viele Zeitzeugen erinnern: Für den WM-Lauf 1955 auf dem Nürburgring trat John Surtees auf einer BMW RS 54 an und wurde dabei auch vom Werk unterstützt. Obwohl neu auf dem „Ring“ schlug sich Surtees bravourös, kam aber später zu Fall, in dem Rennen also, das Duke vor Zeller gewann. Er war an einem Vertrag mit BMW interessiert, doch konnte ihm das Werk für das kommende Jahr aus Geldmangel keinen Vertrag anbieten, deshalb ging er zu MV – was wäre gewesen, wenn….? Nur nebenbei: Über die Antrittsgelder der BMW-Werksfahrer findet man nirgendwo auch nur den geringsten Hinweis.
Ganz anders lief es bekanntlich bei Ernst Degner. Durch seine Flucht in den Westen, also den Wechsel von MZ zu Suzuki, statteten ihn die Japaner bis zu seinem tragischen Feuer-Sturz in Suzuka fürstlich mit Vertrag und Maschinen für das mitgebrachte Know How aus, gemunkelt wurde von 50 Tsd Mark, was in etwa dem Wert eines Einfamilienhauses entsprach. Das war zumindest angemessen, hatte er ihnen doch durch sein Wissen etwa 10 Jahre mühseliger Entwicklungsarbeit erspart.
Im kollektiven Gedächtnis erhalten bleibt wohl für immer der Streik der Fahrer in Assen 1955: Wie meistens hatte der holländische WM-Lauf Hundertausende Zuschauer angezogen, weshalb die Kassen des Veranstalters gut gefüllt waren. Gleichwohl knauserten sie mit den Startgeldern für die Privatfahrer und verwiesen darauf, das Rennen böte für sie doch eine ausgezeichnete Gelegenheit, sich zu präsentieren. Nach der ersten Runde der 500er fuhren deshalb die meisten Fahrer an die Boxen und stiegen ab, darunter auch der Gilera-Werksfahrer Geoff Duke, der sich mit den Privateers solidarisch erklärt hatte. An ihm (und nur an ihm!) rächten sich die Funktionäre und statuierten gnadenlos ein Beispiel, indem sie ihn für die ersten sechs Monate der nachfolgenden Saison sperrten – das war, wie sich später herausstellen sollte, der Anfang vom Ende seiner strahlenden Karriere.
Schlussfolgerungen: Nach einem halben Jahrhundert ist es kaum möglich, das Stillschweigen um Startgelder hinreichend aufzuklären und etwa eine Systematik zu erkennen, die sich in „Mark und Pfennig“ darstellen ließe. Wie in Beruf und Sport üblich, zahlte sich Erfolg durchaus in monetären Einheiten aus, aber für den überwiegenden Teil der Akteure reichte der Ertrag häufig genug gerade so eben zum Auskommen. Die herausragenden Stars (man denke dabei nicht zuletzt auch an Sheene, der durch seine Sponsoren-Visionen und persönliches Auftreten sehr erfolgreich war) verdienten exorbitant gut, auch wenn – wie wir heute in Fahrerlagern sehen – von den Einkommen bei einigen der damaligen Größen nicht viel übrig geblieben sein kann, müssen sie doch ihre Memoiren oder Autogramme in einer fast schon beschämenden Weise zum Verkauf anbieten. (Eine rühmliche Ausnahme davon stellt der tadellose Giacomo Agostini dar.)
Gemessen an den Gefahren, den der Motorsport für die Gesundheit und die Lebenserwartung bedeutet, war der „Mehr-Wert“ für die herausragenden Helden gewiss gerechtfertigt – etwa im Vergleich zum Fußball, wo damals kaum nennenswerte Gelder flossen. Das hat sich in die Gegenwart hinein ins krasse Gegenteil gewendet, nehmen doch hier die „Außerirdischen“ im Monat mitunter soviel ein, wie die Weltmeister der Moto-GP in einem ganzen Jahr – obwohl deren Verletzungsrisiko unvergleichlich geringer ist.
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