Moto-GL-Kaleidoskop Beobachtungen und Notizen aus dem Fahrerlager und von der Strecke |
Der lange Wettlauf im Motorrad-Straßen-Rennsport: Meilensteine in der Entwicklung von 4- und 2-Takt-Motoren
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AJS, 500cc, Ein-Zylinder, seitengesteuert, Siegermaschine TT 1911 |
Aus den Anfängen: Während der Anfangs-Jahre des Motorrad-Rennsports gab es nur Viertakt-Motoren; sie waren faktisch „alternativlos“. Viele Rennen wurden sogar noch mit Seitenventilern gewonnen. Dann aber gründete 1909 Alfred Angus Scott eine eigene Firma und produzierte unter seinem Namen neuartige 2-Takt-Maschinen; mit ihren Kern-Merkmalen Nasenkolben, zwei Zylindern und Wasser-Kühlung entfalteten sie ordentliche Leistung und fuhren 1912 und 1913 Siege auf der Isle of Man ein. |
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Scott, 500cc, 2-Zylinder-2-Takt, Siegermaschine TT 1913 |
Diese Erfolge spornten die Konkurrenz der 4-Takt-Fraktion zusätzlich an. Bei Velocette und Norton entwickelten Goodman und Willis bzw. Moore und Carrol die 4-Takt-Einzylinder systematisch weiter; dabei erwiesen sich die nun oben liegenden Nockenwellen, angetrieben durch Königswelle, als besonders effektiv für einen verbesserten Gaswechsel und höhere Drehzahlen, was letztlich das Erfolgs-Pendel wieder zugunsten des 4-Takt-Prinzips ausschlagen ließ. Diese Phase währte etwa von 1925 bis 1931. |
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Norton, 500cc, Ein-Zylinder, OHC, Königswelle. Velocette arbeitete bereits vorher an dem Grund-Konzept, Norton war ab ca. 1925 damit erfolgreicher. |
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Die Vorkriegs-Ära: In Italien gelang es parallel dazu Garelli, mit Hilfe des Doppelkolben-Prinzips bei ihrem 2-Takt-Motor die Frischgas-Verluste zu minimieren und damit die Leistung bedeutsam zu erhöhen; weil das Aggregat darüber hinaus letztlich auch standfest gemacht wurde, konnten damit zahlreiche hochkarätige Rennen gewonnen werden. |
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Garelli, 350cc, Einzylinder, 2-Takt-Doppelkolben |
Der nächste Leistungssprung ging darauf folgend wieder an die 4-Takt-Vertreter, die angeführt von den bei BMW tätigen Fritz, Schleicher und Hopf den Kompressor im Motorrad-Bau zum Erfolg führten. In Italien verschrieb sich auch Ing. Remor bei der von ihm entwickelten Vier-Zylinder Gilera, der berühmten „Rondine“, dem Konzept des aufgeladenen Motors, mit dem Dario Serafini im Jahr 1939 die Europa-Meisterschaft gewann. |
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Gilera „Rondine“, 500cc, 4-Zylinder, Kompressor, Europa-Meisterschaft 1939. Ihrer Zeit mindestens 10 Jahre voraus |
Einen Motor aufzuladen, verstanden freilich auch die 2-Takt-Konstrukteure. Insbesondere leisteten Weber, Zoller, Friedrich und Prüssing bei DKW, einem Werk also, das eine beispiellose Rennabteilung unterhielt, erfolgreiche Pionier-Arbeit. Von wegen nur 3 bewegte Teile, nämlich Kolben, Pleuel und Kurbelwelle! Die Kombination von Doppelkolben und Kompressor gewährleistete eine gewaltige Leistung, allerdings bei erheblichem Kraftstoffverbrauch - und auch ohrenbetäubendem Lärm: Von Ewald Kluges Light-Weight-Sieg mit der 250er Doppelkolben DKW 1938 auf der Isle of Man wird berichtet, man habe deren Krach sogar auf dem Festland hören können… |
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Stationen der systematischen Weiterentwicklung des aufgeladenen Doppelkolben-2-Takters bei DKW |
Der End- und Kulminationspunkt dieser erfolgreichen Entwicklung wurde aber wieder durch einen 4-Takter markiert, nämlich den historischen Sieg von Schorsch Meier bei der Senior-TT von 1939 – erster Ausländer, der auf einer nicht-britischen Maschine dieses prestigeträchtigste Rennen überhaupt gewinnen konnte. |
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BMW, 500cc, 2-Zylinder-Boxer, Kompressor. Einfach, leicht, kompakt, standfest |
Jenseits dieses sportlichen Höhepunktes gab es eine ganze Reihe von exotischen Maschinen, deren Weiter-Entwicklung aber letztlich wegen des heraufziehenden Krieges nicht mehr möglich war. So gab es eine Kompressor-Velocette mit zwei Kurbelwellen, weitere 4-Zylinder aus Italien, darunter bereits auch 250er, und eine 3-Zylinder-Doppelkolben-500er bei DKW; dort waren bereits auch Gegenkolben-Motoren angedacht. Die meisten dieser Prototypen hatten Flüssigkeitskühlung. |
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Velocette, 1939, „Roarer“, 500cc, 2-Zylinder, Kompressor, Kardan |
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Benelli, 1940, 250cc, 4-Zylinder, Kompressor |
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DKW, 1940, 500cc, 3-Zylinder-Doppelkolben, Kompressor |
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Die Nach-Kriegs-Jahre: Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der Rennsport zunächst mit dem Material wieder aufgenommen, das der totalen Zerstörung nicht anheim gefallen war. International wurden die Kompressoren von der FIM ab 1951 verboten, was die Zweitakt-Konkurrenz zunächst völlig chancenlos machte – bis in Zschopau die 2-Takt-Spezialisten Zimmermann und Kaaden den Drehschieber wieder entdeckten und mit speziellen Auspuff-Anlagen experimentierten, die die Resonanzschwingungen im Auspuff (zur Verringerung der Frischgasverluste) ausnutzen sollten. Nach schnellen Entwicklungsschritten erreichte 1960 die 125er MZ als erster unaufgeladener Verbrennungsmotor überhaupt eine Literleistung von sagenhaften 200 PS. |
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MZ, 1960, 125cc, 1-Zylinder, Drehschieber. Vorbild für alles Folgende |
Unterdessen hatte NSU mit wissenschaftlicher Präzision 125er und 250er Viertakter zu 5-stelligen Drehzahlen gezüchtet und mehrere Weltmeisterschaften eingeheimst. |
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NSU, 1954, 250cc, 2-Zylinder. Schade, dass diese Erfolgsserie nicht fortgeführt wurde |
Dennoch, und unterstützt von dem allgemeinen Technologie-Transfer (personell markiert durch den Wechsel von Ernst Degner 1961 nach Japan) eroberte der 2-Takter, angefangen in den kleinen Klassen, eine Weltmeisterschaft nach der anderen. |
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Stadien der Motor-Entwicklung bei Suzuki, Literleistung der einzelnen Modelle |
Nach und nach gerieten sogar die berühmten 5- und 6-Zylinder-Viertakter von Hondas Chef-Konstrukteur Irimajiri San ins Hintertreffen, und zwar in begeisternden Titanenkämpfen: 50cc 2-Zylinder-Suzuki gegen 2-Zylinder Honda, 125cc 4-Zylinder-Yamaha gegen 5-Zylinder Honda, 250cc 4-Zylinder-Yamaha gegen 6-Zylinder Honda. |
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Suzuki, 1967, 50cc, 2-Zylinder, 14 Gänge |
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Yamaha, 1967, 125cc, 4-Zylinder |
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Honda RC149, 5-Zylinder-Viertaktmotor, 125cc |
In der Pipeline dieses Rüstungswettlaufes befanden sich zudem noch eine 3-Zylinder 50er bei Suzuki und dem Vernehmen nach sogar auch wieder (nach der Moto Guzzi von 1955) eine V 8-Zylinder von Honda. 1969 greift die FIM ein, und verbietet die Zylinder-Inflation – was letztlich den 2-Taktern zugute kommt. 1974 fällt auch die letzte 4-Takt-Bastion, nämlich die Klasse bis 500cc. MV Agusta zieht sich schmollend zurück und begründet dieses mit der neu verordneten Geräuschdämpfung. Prompt gewinnt der bis dahin erfolgreichste MV-Pilot die WM, Giacomo Agostini, zwischenzeitlich aber zu Yamaha gewechselt. |
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MV Agusta, 1973, 500cc, 4-Zylinder. Letzter WM-Gewinn eines 4-Takters für die folgenden 30 Jahre |
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Die Neuzeit: Weitere Innovationen bei der Auslasssteuerung und den elektronischen Zündanlagen lassen die Leistungen der 2-Takt-Motoren weiter ansteigen. Als Honda selbst mit dem Versuch scheitert, mit Ovalkolben, acht Ventilen pro Zylinder und Drehzahlen bis 20.000 U/min den Anschluss zu halten, schwenkt das Werk um und baut ebenfalls 2-Takter („If you can‘t beat them, join them!“) – und ist fast auf Anhieb damit erfolgreich: Freddie Spencer, Wayne Gardner und Mick Doohan stehen stellvertretend dafür. |
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Honda, 1983, 500cc, 4-Zylinder, Oval-Kolben. Zu viele Innovationen auf einmal? |
1990 erreichen sogar die 500er Literleistungen von 400 PS und sind auf Grund ihrer spitzen Leistungsentfaltung kaum noch zu bändigen. Allerdings gibt es kaum noch einen Bezug dieser Raketen zu den Straßen-Motorrädern, wo (primär wegen der Abgas-Emissionen) fast nur noch 4-Takter hergestellt werden und den Markt beherrschen. Nach schon länger geltenden Bestimmungen für die seriennahen Superbikes greift die FIM erneut ein und spricht auch für den GP-Sport ab 2003 ein Verbot der 2-Takter aus – was die 4-Takter wieder ins Spiel bringt, allerdings mit dem doppelten Hubraum-Volumen. |
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Yamaha, 1998, 500cc, 4-Zylinder-2-Takt |
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Honda, 2003, 990cc, 5-Zylinder-V-Motor. Anfang einer neuen Epoche mit 4-Takt-Dominanz |
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Text: Gerhard Fischer, Manfred Amelang Fotos: Archiv Fischer, Rainmaker47
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