I. Überraschende Leistungszuwächse
September 1953, Monza: Vorletzter Lauf zur WM. In der Klasse bis 250cc liegt Werner Haas auf der Zwei-Zylinder NSU punktemäßig in Front. Im Laufe der Saison hat er die konkurrierenden Moto Guzzi-Fahrer Anderson und Lorenzetti hinter sich gelassen, braucht aber noch einen vorderen Platz, um die WM zu gewinnen. Seine Maschine ist offenkundig der italienischen Ein-Zylinder mindestens ebenbürtig; jedenfalls war die NSU auf den eher schnellen Kursen wie Assen und Dundrod sowie Bern der Moto Guzzi überlegen, darüber hinaus auch im Eröffnungs-Rennen der Saison in Hockenheim, das nicht zur WM zählte. Auf dieser Strecke, die nur zwei Kurven vorsah und damit ein reiner „Maschinen-Kurs“ war, hatte Haas seinen Hauptkonkurrenten Lorenzetti nach hartem Kampf auf Platz 2 verweisen können.
Nun also stand Monza an. Wie ernst es die Italiener meinten, mag daraus ersichtlich sein, dass sie beispielsweise Ken Kavanagh von Norton allein für diese Veranstaltung ausgeliehen hatten, der neben den beiden Stammfahrern und Montanari an den Start gehen sollte. Auch NSU trat mit vier Fahrern an, nämlich außer Haas noch Armstrong, Brand und Umberto Masetti.
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Frontverkleidung der 250er am Ende der Saison `53 |
Umberto Masetti vor dem Start auf der NSU. Wie ersichtlich umfasst die Bugverkleidung die Lenkerenden; Haas fuhr ein weniger verschaltes Modell |
Das Erstaunliche nun: Auf dem schnellen Flach-Kurs war die Guzzi bereits im Training schneller als die Renn-Max; Lorenzetti, Anderson und Kavanagh standen auf den Plätzen 1 bis 3. Das Rennen gewann Lorenzetti mühelos vor Haas, und die deutschen Medien sprachen davon, dass die italienischen Maschinen für ihr Heim-Rennen eben speziell „gedopt“ gewesen seien – ohne konkrete Vorwürfe zu machen. Auch NSU sagte kein Wort, warum auch, sie wollten keine schlechten Verlierer sein, hatten sie doch trotz der finalen Niederlage die WM gewonnen. Aber: Merkwürdig war der Geschwindigkeits-Zuwachs gegenüber den vorangegangenen Rennen sehr wohl gewesen, hatte die Guzzi doch zuvor lediglich die TT gewonnen, und zwar unter Fergus Anderson und hauptsächlich wohl als Folge von dessen überragender Strecken-Kenntnis. Und: Sowohl Anderson als auch Kavanagh kamen in Monza nicht vom Start weg, weil ihre Maschinen aus verschiedenen Gründen nicht ansprangen. Konnte das nicht als Hinweise darauf gewertet werden, dass das „Doping“ (etwa durch Hubraum-Vergrößerung auf die 327cc der für die nächst-höheren Hubraum-Kategorie bereits existierenden Motoren) zwar die Leistung erhöht, aber die Zuverlässigkeit beeinträchtigt hatte? Jedenfalls gewann Moto Guzzi im Jahr darauf nicht ein einziges Rennen bei einem WM-Lauf.
Ein Jahr später: September 1954, wieder Monza: Der vorletzte Lauf zur diesjährigen WM steht an. NSU tritt „mit breiter Brust“ hier an, weil in den vorangegangenen Rennen insofern „der Sack bereits zu gemacht“ werden konnte, als in den beiden kleinen Solo-Klassen Rupert Hollaus (125cc) und Werner Haas (250cc) schon so viele Punkte eingefahren hatten, dass sie, was immer auch geschehen würde, von der Konkurrenz nicht mehr würden eingeholt werden können, sie also als Titelträger bereits feststanden. Gleichwohl bedeutete das Rennen in Monza, sozusagen im Vor-Zimmer von MV Agusta und Moto Guzzi, einen der Höhepunkte der Saison, ein dortiger Erfolg selbstredend ein besonders prestigeträchtiges Ereignis. Aber: Wider Erwarten verlief für NSU und Hollaus das Freitags-Training nicht zur Zufriedenheit, lagen am Ende des Tages, an dem die MV Agustas „plötzlich zu fliegen schienen“ (Karny, 2004, S. 177; von diesem Autor auch die nächsten Zitate), drei Mitbewerber vor Hollaus. Namentlich Carlo Ubbiali fuhr derart entfesselt, dass nicht nur die Leute von NSU mutmaßten, „hier ginge etwas nicht mit rechten Dingen zu.“ Konkret machte der Verdacht die Runde, dass Ubbiali das erste Training mit einer 150er oder gar 175er-Maschine bestritten haben könnte, “um seine Konkurrenten zu irritieren“. Ob gerechtfertigt oder nicht, der Wahrheitsgehalt dieser Vermutungen wird sich wohl niemals ergründen lassen. Wie dem auch sei: Hollaus kündigte für den nächsten Tag in einer für ihn untypischen, weil wenig zurückhaltenden Art an: “Einen Weltmeister schlägt niemand!“ Mit dieser Ansage begann das Schicksal, seinen Lauf zu nehmen. Als es am Samstag nach einigen Aufwärm-Runden ernst wurde und es um Zeiten ging, schaffte Rupert tatsächlich die schnellste Zeit, die ihn auf Startplatz 1 gebracht hätte, aber in der Lesmo-Kurve kam er zu Fall; in einer Bodenwelle verhakte sich anscheinend die rechte Fußraste am Boden, hebelte die Maschine aus und katapultierte den Fahrer weg. Hollaus, nach dem Abflug bewusstlos, wurde in ein Krankenhaus gebracht, wo die Ärzte sein Leben allerdings nicht mehr retten konnten; sie diagnostizierten eine unnormal dünne Schädeldecke, die für jeden Rennfahrer schon bei weniger gravierenden Unfällen fatale Folgen hätte haben müssen. Rupert Hollaus, der „Weltmeister für 1000 Stunden“, bleibt bis heute der einzige Österreicher, der den höchsten Titel errang, den die FIM zu vergeben hat.
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Hollaus und Ubbiali |
Hollaus auf seiner letzten Fahrt |
Haas und Hollaus unter dem Siegerkranz |
II. Proteste und die Folgen von Verletzungen
Isle of Man, 10. Juni 1953: Vorbereitungen zum Start der Lightweight, also der 250er Klasse. Bill Lomas hatte die Trainingsbestzeit gefahren, war aber auf der Renn-Fox gestürzt und durfte wegen eines Bruchs des Mittelhandknochens auf Verdict der Ärzte (die er aus eigenem Antrieb aufgesucht hatte) nicht starten. Den anscheinend schnelleren Motor seiner Maschine durften die Monteure noch gegen denjenigen von Haas austauschen. In diesem Stadium der Vorbereitungen ging ein anonymer Protest gegen den verbleiten Sprit im Tank der NSU-Rennmax ein. „Wie dieser nicht den Regeln entsprechender Sprit in die Tanks kam, ist nicht erklärt worden und warum der Protest vor und nicht nach dem Rennen kam, blieb unerfindlich“, schrieb Eugen K. Schwarz (1953, S. 434). Denn wenn der Protest von einer Seite kam, die NSU hätte schaden wollen (am wahrscheinlichsten natürlich von einem Konkurrenten??), wäre es wohl „effizienter“ gewesen, den Protest erst *nach* dem Rennen einzureichen, weil damit möglicherweise eine Aberkennung des jeweils erreichten Zieleinlaufs hätte erreicht werden können. Ob NSU schon die ganze Woche mit dem irregulären Benzin trainiert und damit die Vergaser justiert hatte, bleibt offen; jedenfalls bestand das Risiko, dass sich mit dem regelgerechten Treibstoff die Vergaserbedüsung als falsch erweisen könnte. Wie dem auch sei: Kurz vor dem Start wurde dann der Tank geleert, gespült und mit dem erlaubten Sprit gefüllt. Später war die Erleichterung der NSU-Crew riesengroß: Fuhr doch Werner Haas gleich bei seinem ersten Start auf der Isle of Man nach anfänglicher Führung einen großartigen zweiten Platz hinter Fergus Anderson (Guzzi) ein, womit er den Grundstein für die im Laufe der folgenden Rennen erzielte WM legte.
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Werner Haas vor Start im Gespräch mit dem verletzten Lomas….. |
…und in voller Fahrt |
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Fergus Anderson als Sieger auf Moto Guzzi kurz nach Verlassen der Schleife nach Govenor`s Bridge |
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Der Tag, an dem dieses geschah, war auch derjenige, an dem sich die oft kolportierte Angelegenheit mit den „falschen Stiefeln“ von Werner Haas ereignete. Nach den Lightweights standen seinerzeit die Ultra-Leightweights (125er) auf dem Programm. Kurz vor dem Start rügte ein Funktionär nach einer entsprechenden Aufforderung durch Lesley Graham, der auf Startplatz 1 stand, die Schaftlänge der Stiefeln von Werner Haas; diese seien zu kurz und deshalb regelwidrig. Natürlich kam es zu einem heftigen Disput, denn kurz zuvor hatte Haas ja ohne jede Beanstandung das 250er-Rennen bestritten. Der daneben stehende Club-Rennfahrer John Elliott, also ein unbeteiligter Zeuge des Geschehens, zog daraufhin in bewundernswerter Fairness und zur Beschämung des Kommissars seine eigenen Stiefel aus und gab sie Haas – die Situation schien bereinigt. Diese „Rettung“ aber war letztlich unnötig, weil wenige Augenblicke später wegen schlechten Wetters in den Bergen der Start abgesagt und auf den nächsten Tag verschoben wurde. Auch wenn damals in den deutschen Medien – bis hin zum „Spiegel“ - das Monitum von Graham als missgünstiger Akt gedeutet wurde, muss festgehalten werden, dass der besagte Funktionär zuerst Carlo Ubbiali, also einen Stallkameraden von Graham, wegen *dessen* Stiefeln gerügt hatte, woraufhin Graham nur auf Gleichbehandlung der beiden Fahrer drängen wollte – also sehr wohl verständlich reagierte.
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Haas wechselt Stiefel
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Haas als Erster vor Sandford |
Wie allgemein bekannt ist, stürzte am Tag darauf Graham am Fuße von Bray Hill auf seiner 500er-Vier-Zylinder-MV Agusta tödlich. Weniger bekannt ist eine der Erklärungen dafür: „Graham, der sich bei einer Probefahrt vor TT-Beginn am Arm verletzt hatte, aber sich nicht wie Lomas der Ärzte-Kommission stellte (….),ist vielleicht dadurch zu Sturz gekommen, dass er die sich bei 220 km/h aufschwingende MV mit dem verletzten Arm nicht mehr halten konnte“ (Schwarz, 1953, S. 433). Häufig müssen mehrere Faktoren gemeinsam wirksam werden, wenn etwas Schlimmes passiert - und einer davon kann möglicherweise in der Tat wirksam geworden sein.
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Leslie Graham als Sieger bei den 125ern… |
…und beim Anschieben der 500er MV-4: Wenige Augenblicke später stürzt er tödlich |
III. Fahrerstreiks und ihre Folgen
16.7.1955, Assen: Herrliches Wetter, die Tribünen einmal mehr bevölkert mit mehr als einhunderttausend Zuschauern. Start des Rennens der 350er: Das Feld verschwindet in Richtung der ersten Rechtskurve. Als die Fahrer wieder auf die Start- und Zielgeraden zurück kommen, steuern die meisten von ihnen die Boxen an und beenden offenkundig das Rennen, kaum, dass dieses begonnen hat. Die Zuschauer trauen ihren Augen nicht, es kommt zu Tumulten, aber bald wird klar, dass hier ein Streik der Fahrer stattfindet, den diese praktizieren, um für die Privatfahrer höhere Startgelder zu erstreiten. Hintergrund ist, dass die Veranstalter des Rennens angesichts der hohen Zuschauer-Zahlen sehr ordentlich Kasse machen, die vielen Privatfahrer davon aber kaum etwas abbekommen, obwohl sehr viele von ihnen, häufig fernab von der Heimat um ihren Lebensunterhalt fahren. Der Veranstalter hält dagegen und argumentiert, er würde die ganz große Bühne dafür bieten, dass die Fahrer sich durch ihr Auftreten für das eine oder andere Werksteam empfehlen und dadurch ihre ökonomische Situation verbessern könnten. Um den Streik mehr Schlagkraft zu verleihen, haben sich einige Starfahrer an die Spitze der Bewegung gesetzt, darunter insbesondere Geoff Duke, der seit 1953 für Gilera fährt und die letzten zwei Jahre auf der 4-Zylinder Weltmeister geworden ist. Als Werks-Fahrer muss er sich keine Sorgen um das Geld machen, bekundet aber mit seinem Verhalten selbstlos Solidarität mit den „Privateers“, die ihrerseits früher solidarisch mit ihm in einer ähnlichen Situation gewesen sind. (Unterdessen läuft das Rennen weiter, und Moto Guzzi fährt mit Kavanagh, Lomas und Dale einen leichten Dreifach-Sieg ein, nachdem auch die DKW-Fahrer streikbedingt „die Arbeit eingestellt“ hatten.) Nach erregten Debatten mit den Funktionären geht später die Halbliter-Klasse regulär über die Bühne, und zwar mit dem Sieger Duke vor Armstrong.
Aber: Die Langzeit-Folgen sollten insbesonders für Duke verheerend sein: Die FIM sperrte ihn für die ersten sechs Monate des kommenden Jahres. Schon damit waren alle Aussichten für den Gewinn eines weiteren WM-Titels perdu. Damit nicht genug: Ihm wurde signalisiert, sich in der Öffentlichkeit formell zu entschuldigen, womit sich das Strafmaß reduzieren ließe – aber nichts davon wurde wahr, womit die Demütigung dieses tadellosen Gentleman-Fahrers vollkommen war. Zwar wurden auch andere Teilnehmer des Streiks bestraft, aber nur an Duke wollten die Offiziellen ein sichtbares Zeichen wirksamer Abschreckung setzen. Unerbittlich bestand die FIM auch auf dem Verbüßen der Sanktionen bis zum allerletzten Tag, denn sie ließ Duke auch nicht zur Dutch-TT am 30.6.1956 zu; er musste frustriert von da nach Belgien weiterreisen, wo er ein paar Tage danach in Spa die schnellste Runde fuhr, dann aber ausfiel. Inzwischen hatte sich Gilera nach einem Ersatz für Duke umgesehen und ihn in Bob McIntyre gefunden. Im Kampf gegen diesen stürzte Duke beim ersten Großereignis in Imola 1957 und war lange Zeit mit einem Armbruch außer Gefecht. Ende des Jahres zogen sich die italienischen Werke (mit Ausnahme von MV Agusta) vom Rennsport zurück, Duke versuchte es bei BMW, aber diese Beziehung endete unglücklich; im Jahr darauf beendete Duke seine Karriere bei einem Rennen in Locarno, wo er in drei Klassen siegen konnte.
27.4.1974, Nürburgring: Eifel-Rennen, dritter WM-Lauf. Miserables Wetter, nass und kalt. Es hatte sogar geschneit, weshalb Schneepflüge die Nordschleife erst frei schaufeln mussten. Im ersten Training ist bereits Robin Fitton ein Opfer der ungeschützten Leitplanken geworden. Die Fahrer fordern vom Veranstalter die Aufstellung von 5.000 weiteren Strohballen, um die Strecke etwas sicherer zu machen. Da es zu keiner einvernehmlichen Lösung kommt, unterschreiben die angereisten Werksställe und die Größen des internationalen Motorrad-Rennsports eine Boykotterklärung und reisen ab. Die zum Rennen angereisten Zuschauer fühlen sich geprellt; es kam zu Ausschreitungen. Zum Rennen der 500er traten nur sieben der ursprünglich gemeldeten 56 Fahrer an. Weil Trainingszeiten nicht genommen worden waren, reihten sich die Fahrer am Start so auf, wie sie aus dem Fahrerlager kamen. Vier von ihnen erreichten das Ziel. Edmund Czihak gewann auf seiner 2-Zylinder-Yamaha das Rennen, und er ist bis heute der einzige Deutsche, der einen Halbliter-WM-Lauf gewinnen konnte.
Startaufstellung der 50er: „Wie sich die Szenen gleichen“; auch hier sind es sechs Leute, die fahren wollen.
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Die anderen Akteure verweigern streikend den Start, darunter auch Dieter Braun. Dieser wird von den Funktionären der OMK alsbald als „Rädelsführer“ wahrgenommen, während sich Dieter eher als Dolmetscher für Read und Agostini in den strittigen Gesprächen mit den Oberen verstand. Gleichwohl üben diese Rache: sie verweigern ihm die Startgenehmigung für – nein, nicht das nächste Rennen, das für Anfang Mai in Hockenheim angesetzt war, denn das hätte die Zuschauer aufgebracht und sie wären scharenweise zu Hause geblieben. Stattdessen sollten Braun und die anderen Deutschen - besonders hinterhältig – erst im übernächsten Rennen, demjenigen in Imola, nicht antreten dürfen. Noch am Vorabend dieser Veranstaltung enthob die FIM auf einer Sitzung in Faenza den Rennleiter vom Nürburgring, Kurt Bosch, bis zum Ende der Saison all seiner Ämter und gab damit den Fahrern im Nachhinein Recht für ihre Aktion – aber alles half nichts. Wegen zusätzlicher Kalamitäten mussten am Ende die angereisten deutschen Fahrer unverrichteter Dinge wieder heimfahren - selten haben sich Funktionäre derart borniert und selbstgerecht verhalten.
Dieter Braun, hier auf Maico 125ccm unterwegs |
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IV. Emotionales
Anfang des Jahres 1958 erklärte Inge Stoll, auch auf Druck ihres Vaters Kurt, dass dies wohl ihre letzte Saison im Rennzirkus sei. Da Drion jedoch keinen Ersatz für die Position im Beiwagen fand, ließ Inge ihn nicht im Stich und fuhr weiter mit ihm auf Norton. Im Mai heiratete Inge Stoll den 29-jährigen Berliner Manfred Grunwald, der 1957 als Fritz Hillebrands Beiwagenfahrer Weltmeister geworden war. Grunwald war zunächst Solofahrer, bevor er 1954 zu Hillebrand in den Seitenwagen stieg. Nach dem für Hillebrand tödlichen Unfall am 24.8.1957 beim Rennen im spanischen Bilbao hatte Grunwald den Rennsport aufgegeben. Die kirchliche Hochzeit war für den 13.9.1958 in Breinig geplant. Nach dem Saisonauftakt im österreichischen Salzburg ging es für Drion-Stoll zunächst weit in den Norden ins finnische Helsinki. Dort konnten sie ihr Rennen siegreich beenden. Von dort ging es zu mehreren Rennen nach Frankreich und Belgien und schließlich im August ins tschechische Brünn. Am 24.8.1958, genau ein Jahr nach dem schweren Unfall von Hillebrand-Grunwald im spanischen Bilbao, starb Inge Grunwald-Stoll beim Grand Prix dort. Auf der zweiten Position hinter Camathias-Kassner und vor Richter-Klim liegend kamen Drion-Stoll in der vierten und letzten Runde in einer schnellen Rechtskurve mit ihrem Norton-Gespann nach links von der Strecke ab. Das Gespann überschlug sich mehrfach. Inge Stoll starb noch am Unfallort, Jacques Drion verstarb am folgenden Tag im Krankenhaus. Wieder hatte das Motorsportschicksal erbarmungslos zugeschlagen. Sie waren das siebte und achte Opfer auf dem Masaryk-Ring. Untersuchungen der Unfallstelle durch die Familien Stoll und Drion blieben ohne Erkenntnisse über die Unfallursache.
Es gibt Berichte, nach denen es vor dem Rennen zum Streit zwischen Drion und Stoll gekommen sei. Möglicherweise ging es um Inge Stolls Absicht, ihre Rennkarriere endgültig zu beenden. Ob dieser Streit dazu führte, dass das bis dahin immer sicher fahrende Paar plötzlich einen fatalen Fahrfehler machte, bleibt unklar. Andere Quellen berichten von regennasser Fahrbahn in bestimmten Abschnitten der Rennstrecke, die vielleicht den beiden zum Verhängnis wurde. Posthum wurden sie wieder internationale französische Seitenwagenmeister 1958. Auch kamen Gerüchte über Eifersucht und Selbstmord auf. Jedenfalls hinterließ der Unfall bleibende Rätsel: Es sollte eines der letzten von den beiden geplanten Rennen sein, es geschah in der letzten Runde, nicht bedrängt von Konkurrenten, keine Bremsspuren, bevorstehende Trennung von Jaques und Inge.
Drion/Stoll in der Transformator-Kurve kurz nach dem Start in St. Wendel, 1957
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..in Charlevilles; der Mann links mit der Sonnenbrille ist Manfred Grunwald, der Kommentar ist von Vater Stoll |
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…. und in Waremme: Inge Stoll sitzt als Sozia hinter Drion. Links lehnt Auguste Goffin.
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Als deutsch-französisches Team in der schwierigen Nachkriegszeit, wo es noch zahlreiche Ressentiments gegen die ehemaligen Kriegsfeinde gab, waren sie mit ihren freundlichen Persönlichkeiten und ihrer Sprachkompetenz allseits anerkannte Botschafter des Sports und der Völkerverständigung. Trotz aller Trauer und Betroffenheit in der Seitenwagengemeinde wurde der Rennzirkus eine Woche später am 31.8.1958 in Zandvoort unvermindert fortgesetzt. Drions Freund Murit gab nach dem tödlichen Unfall den Rennsport auf und widmete sich seinem Motorradgeschäft in Paris; unter anderem führte er BMW im Sortiment. Manfred Grunwald lebte in Erlangen und arbeitete als Fahrlehrer. Er verstarb dort 2008. Für die Saison 1959 wurde das Seitenwagen-Rennen im elsässischen Obernai nach Drion benannt, der zusammen mit Inge Stoll die Seitenwagenklasse 1958 dort gewonnen hatte.
Inge Stoll ist in ihrem Heimatort begraben. Jacques Drions Leichnam wurde nach Paris überführt und dort zunächst auf dem Friedhof Montmartre begraben und schließlich 1967 auf den Friedhof in Egly – südlich von Paris - verlegt.
Am 14.8.1958 war es zum ersten offiziellen Treffen auf höchster politischer Ebene zwischen Bundeskanzler Konrad Adenauer und Staatspräsident Charles de Gaulle gekommen. Der Besuch Adenauers im Privathaus de Gaulles ging als Beginn der deutsch-französischen Freundschaft in die Geschichte ein. Drion-Stoll hatten diese Freundschaft bereits ab 1952 praktiziert, und viele Menschen beidseits der Grenze tun das heute immer noch und hoffentlich auf Dauer
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