Was Bastler alles können
Artikel "Motorrad" 17/1973, Autor: Dr. Harry Niemann

Manchmal hört man, die Zeiten seien vorbei, in denen Motorradfahrer noch echten Spaß am Basteln hatten. Wer gar mache sich heute, wo eine solche Fülle von Motorradmodellen angeboten werde, noch die (dazu recht kostspielige) Mühe, sich das Motorrad seiner Träume selbst zu bauen - womöglich eine Rennmaschine? Aber nach wie vor gibt es Enthusiasten, die selbst vor einer so schwierigen Aufgabe nicht zurückschrecken wie der, über die auf diesen Seiten berichtet wird.

Ausgehend von der Überlegung, welch faszinierend hohe Literleistungen heute Fünfziger erreichen, kam Bernd Wagner zu dem Schluß, daß durch die Koppelung mehrerer solcher Zylinder auch mit einer Maschine größeren Hubraums zu gleichen Literleistungen zu kommen sein müßte. Am günstigsten für dieses Vorhaben schien ihm der Zylinder der 50er Reimo, deren Erbauer einem solchen Projekt nicht uninteressiert gegenüberstanden und sich anboten, Bernd mit ihrem Rat zur Seite zu stehen.
Bewogen zu seinem Plan wurde er vor allem durch die technische Einfachheit seiner selbst aufgebauten und schon mit einer Trockenkupplung versehenen 350er Yamaha. Da sein Interesse vor allem der 350er Klasse gilt, lag es nahe, unter Verwendung von 50er Zylindern einen Sechszylindermotor zu projektieren.
Im Herbst 1971 begann Bernd mit den ersten Zeichnungen für die Herstellung der Gußmodelle. Die Holzmodelle baute er zusammen mit seinem Freund Rudolf Pahlke, der wie er Werkzeugmacher ist. Bei ihrer Fertigung wurde im Hinblick auf die spätere Bearbeitung, Wert auf Unkompliziertheit gelegt. Gegossen wurde aus einer Aluminium-Hüttenlegierung, die zäh und korrosionsbeständig genug für diesen Zweck ist. Der Gußrohling bildet die Grundlage für einen Sechszylinder-V-Zweitaktmotor, bei dem die Reihen mit je drei Zylindern im Winkel von 90° zu einander stehen, was für optimale Raumausnutzung am geeignetsten erschien.
WagnerDer Motor besitzt für jeweils drei Zylinder eine Kurbelwelle, beide Wellen geben ihre Kraft über einen gradverzahnten Mittelab­trieb ab. Die Kurbelwellen sind aus Einsatzstahl hergestellt und in ihren äußeren Abmessungen identisch mit der Welle der 50er Reimo. Die Wellen sind um 120° versetzt und laufen parallel zueinander, um die Drehschwingungen der Kurbelwellen so gering wie möglich zu halten. Das Zahnrad der einen Welle ist verschraubt und verstiftet, um den Versatz beider Wellen zueinander ändern zu können. Der Primärtrieb hat im Hinblick auf reibungarmen Lauf Modul 2. Es werden jeweils zwei Zylinder zugleich gezündet, was das Problem der Zündanlage wesentlich vereinfachte, da die für die Kawasaki H 1 R entwickelte Kröberanlage übernommen werden konnte. Bei der Anlage, die ihre volle Zündleistung bis 16500 U/min abgibt, werden Doppelzündspulen verwendet, um Raum und Gewicht zu sparen.
Ein wesentliches Problem bei allen Arbeiten war das der Raumausnutzung; es trat fast überall auf, auch bei der Lage der Vergaser. Verwendet werden sechs 27er Bing-Vergaser mit getrennter Schwimmerkammer, wobei jeweils drei Vergaser von zwei Schwimmerkammern versorgt werden.
Die einzelstehenden Zylinder, deren Modell von der Reimo stammt, sollen in nächster Zeit der Einfachheit halber durch zwei Dreizylinderblöcke ersetzt werden. In die Zylinder wurden Buchsen eingezogen, die Blöcke beabsichtigt Bernd hartverchromen zu
lassen. Kolben und Ringe werden bei Mahle gefertigt.
Der Kühlmittelumlauf wird durch eine mechanisch angetriebene Pumpe bewirkt, die seitlich am Motor angeflanscht ist und durch zwei O-Ringe von der Kurbelwelle im Übersetzungsverhältnis 2,8 : 1 angetrieben wird.
Da Bernd schon Erfahrungen bei dem Bau der Trockenkupplung seiner Yamaha gesammelt hatte, gelang ihm hier eine recht überzeugende Lösung. Die Kupplung ist mit neun Scheiben bestückt und durch Gummielemente gedämpft. Gelagert auf der Getriebewelle ist sie mit einem kombinierten Lager (radial und axial). Das Getriebe ist ein Fünfgang-Renngetriebe von Yamaha; wenn der Motor richtig läuft, soll es durch ein Sechsgang-Getriebe ersetzt werden. Der Schaltautomat ist wegen der Größe des Original-Yamaha-Teils selbst konstruiert.
Es galt nun, für den Motor ein Fahrwerk aufzutreiben, das vor allem einfachen Ein- und Ausbau gewährleisten und dennoch für den Rennbetrieb in puncto Steifheit und Gewicht geeignet sein sollte.
Ein solches Fahrwerk ließ sich jedoch nicht finden, so daß Bernd sich entschloß, parallel zu dem noch im Bau befindlichen Motor auch sein Fahrwerk selbst zu bauen. Der Rahmen wurde sehr breit angelegt, um verschraubte Verbindungen zu vermeiden. Die Bauart ist nach altbewährtem Rezept die des Federbett-Rahmens. Als Schwinge wurde zwecks größerer Stabilität eine Kastenschwinge gewählt, die nur mit einem Federbein gegen den Rahmen abgestützt ist. Dieses stammt von Koni und ist mit einer 7 mm-Feder bestückt. Die Gründe für diese Bauweise liegen zum einen in der Gewichtsersparnis, zum anderen zwang die Verlegung der Auspuffrohre dazu.
Wagner BremseDie Gabel der Maschine stammt von Ceriani. Als Vorderradbremse wird eine 210er Fontana-Duplexbremse verwendet. Im Hinterrad befindet sich eine Lockheed-Einscheibenbremse aus Elektronguß.
Auch das Vorderrad soll später eine Scheibenbremse erhalten.
Die Maschine ist jetzt größtenteils fertig und auch schon gelaufen, doch bereitet die provisorisch installierte Unterbrecherzündung bei hohen Drehzahlen noch Schwierigkeiten. Aber Bernd ist zuversichtlich und hofft, die Maschine bald einsetzen zu können. Wenn man bedenkt, daß er erst zwanzig Jahre alt ist und alles aus eigener Tasche finanziert hat, kann man sich vorstellen, welche Schwierigkeiten er zu überwinden hatte. Allein ein Satz Kolben für die Maschine kostet 600,- DM. Ohne die Hilfe seines Freundes Pahlke, der ständig an allen Arbeiten beteiligt war, wäre er heute wohl kaum so weit.


Technische Daten

Motor: Sechszylinder-Zweitakt, jeweils drei Zylinder in Reihe stehend, 90° zueinander versetzt zwei Kurbelwellen mit Mittelantrieb direkt auf die Getriebeeingangswelle

Kupplung: Neunlamellen-Trockenkupplung, durch Gummielemente gedämpft

Getriebe: Fünfgang (Yamaha)
Vergaser: Sechs 27er Bing-Sportvergaser mit getrennter Schwimmerkammer.
Zündanlage: HKZ Magnetzündanlage (Kröber)

Primärtrieb: Geradverzahnt, Übersetzung 34 : 72

Wasserpumpe: Von der Kurbelwelle über zwei O-Ringe angetrieben, Übersetzung 2,8 : 1
Rahmen: Federbett-Bauart mit Rechteckschwinge
Federung und Dämpfung: vorn Ceriani-Teleskopgabel, hinten Koni-Federbein
Bremsen: vorn Fontana-Doppelduplex 210 mm Durchmesser, hinten Elektronnabe mit Einscheibenbremse (Lockheed)
Gewicht: 105 kg (leer)
Wagner - Six
2011


www.classic-motorrad.de dankt Dr. Harry Niemann ganz herzlich, dass er diesen Artikel zur Verfügung gestellt hat.