Jochen Luck „The Voice“
NOCH 30 SEKUNDEN BIS ZUM START
Seine Stimme hat noch die gleiche Kraft wie früher und sein Geist ist wach wie immer. Seine Frau ist meistens dabei, wenn er einen GP besucht und mit alten und neuen Freunden plaudert. Am 23. September 2014 wird er 89 und wenn man ihm begegnet, dann denkt man, er sei mindestens 20 Jahre jünger: Jochen Luck, Spitzname „The Voice“ ist fit wie eh und je
Atemlose Stille im Motodrom Hockenheim. 100.000 Zuschauer stehen sprach- und atemlos auf den Rängen und schauen gebannt auf die Strecke zum Startplatz. Nur aus dem Lautsprecher dringt eine kräftige Stimme:
„Noch 30 Sekunden bis zum Start – thirty seconds to go – trente secondes jusqu´au depart“. Dann spricht die Stimme weiter, etwas leiser, aber sehr eindringlich: „Die Fahrer stehen neben ihren Maschinen, haben den ersten Gang eingelegt, ziehen den Kolben zurück bis zum oberen Todpunkt, ziehen dann die Kupplung –
NOCH ZEHN SEKUNDEN BIS ZUM START
- ganz vorne links beugt sich Mike Hailwood tief über den Tank seiner Sechszylinder Honda, zieht noch einmal das Leder seines Handschuhs straff, geht neben seinem Motorrad in die Knie, um eine optimale Position zum Anschieben zu haben –
UND START!
Am besten kommt Phil Read auf seiner Yamaha weg, der auch als erster in die Kurve einbiegt auf dem Weg über die lange Gerade durch den Wald zur Ostkurve“.
Wissen Sie noch, lieber Leser, wie das damals in den 60er und 70er Jahren war, als ein Feld mit 35, 40 Fahrern per Schiebestart ins Rennen ging? Damals gab es die Klassen 50, 125, 250, 350, 500 Kubikzentimeter und die Seitenwagen. Die Marken hießen AJS, Aermacchi, Bultaco, BMW, CZ, Derbi, Kreidler, Jawa, Norton, Matchless, MV Agusta und die vier Japaner wie Honda, Kawasaki, Suzuki und Yamaha und sogar russische Marken.
Jochen Lucks Stimme informierte die Zuschauer immer sachlich, immer korrekt, er war immer sehr gut informiert über die Technik der Maschinen, hatte alle Informationen zu Fahrern, Marken und Teams. Rund 500 Veranstaltungen hat er moderiert zwischen 1949 und 1987, davon waren 36 Motorrad-GP’s und 21 Formel 1 Rennen.
Seine Frau Hildegard war immer dabei, schrieb Rundenzeiten und Tabellen, führte die Fahrerkartei und lieferte ihrem Gatten Jochen alles zu, was dieser gerade brauchte. „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau“, sagt Jochen und noch heute sind die beiden ein Team bei ihren vielen Reisen zu den europäischen Motorrad Grand Prix. „Wenn im Winter der Rennkalender fürs kommende Jahr herauskommt, sitzt meine Hildegard tagelang da, bucht Flüge und Hotels und freut sich auf die kommende Saison“, erzählt Jochen und seine Hildegard sitzt dabei und schmunzelt.
Jochen Luck kam am 23. September 1925 in Kassel zur Welt. Sein Vater war Beamter und im Sog der Familie lebte der junge Jochen in Kassel, Potsdam und Prag. Dort lernte er auch den wahnsinnig schnellen Aktivsport Eishockey und die Fitness, die dieser Sport erfordert, die sieht man ihm heute noch an: kein Altersfett, alle Gelenke intakt, was wohl am wenigen Alkohol und nur ganz selten einer Zigarette liegt. Jochen Luck ist heute aktiver Rentner. Sein Job war LKW Verkäufer, zuerst 28 Jahre lang solche von Mercedes und dann 14 Jahre lang MAN. Wenn Sie, liebe Leser, heute in einem Fahrerlager MAN Lkw’s sehen, dann hat bestimmt Jochen Luck an Verkauf oder Leasing des Fahrzeugs mitgewirkt – und es gibt viele, sehr viele MAN in den Fahrerlagern dieser Welt. Und Bandenwerbung dazu.
Ich frage Jochen, ob seine Ex-Firma weiß, was sie an ihm hatte und heute noch hat. „Weißt du", hebt seine unnachahmliche Stimme an, „heute ist alles anders als früher, heute kriegst du für alles, was du machst und tust, kein Dankeschön mehr. Heute regieren in den Firmen die Controller, die interessieren sich nur für Zahlen und Gewinne. Wenn alles stimmt, dann war es die Firma, ein Mensch steht nicht mehr hinter einem Erfolg. Aber wenn etwas nicht läuft, dann sucht man nach dem oder auch den Schuldigen. Das ist der Hauptunterschied zu früher, wo man noch ein Dankeschön bekam für eine Leistung, die einer einzelnen Person zugeschrieben werden konnte“.
Er sagt es ohne Bitterkeit und wir reden ein wenig von früher. Wer seiner Meinung nach der beste Rennfahrer der Welt ist oder war? „Also der Hailwood, der war schon unglaublich. Der fuhr manchmal drei Rennen am Tag, oft sogar im Regen auf glitschigen, unsicheren Strecken. Die hatten damals ja nur dünne Lederkombis an und Puddingschüsseln auf dem Kopf und fuhren auf dem Nürburgring manchmal sogar im Schneegestöber ihre Rennen. Hailwood trug den Spitznamen Mike the Bike nicht zu unrecht, denn wie der mit den damals so schlecht liegenden Hondas umging, das war schon faszinierend, egal ob es eine 125er, 250er, 350er oder 500er war.“
Ja, Jochen – und was noch? „Der Ago war natürlich auch sehr gut, der hatte einen unnachahmlich eleganten Stil. Die MV Werksmaschinen waren auf ihn alleine zugeschneidert, das machte es dem Ago etwas leichter. Der leider zu früh verstorbene Jarno Saarinnen war einer der Allergrößten für mich, dann folgen Jim Redman und Phil Read. Nicht zu vergessen die Großen der 80er Jahre wie Barry Sheene, Kenny Roberts und Freddy Spencer. Der beste Deutsche war für mich der Toni Mang, wie der sich aus dem Windschatten von Dieter Braun heraus hochgearbeitet hat zu fünf WM Titeln, das war schon eine besondere Leistung“.
Klar kommt unser Gespräch auf den WM-Endlauf der 350er Klasse 1980 auf der Nordschleife des Nürburgrings. Toni Mang oder Jon Ekerold, Ekerold oder Mang, wer von den beiden gewann, wurde Weltmeister. Jon hatte seine Gattin samt dem dritten Kind, das gerade mal acht Wochen alt war, aus Südafrika einfliegen lassen. Der Fight ging das ganze Rennen über und erst in der letzten Runde fuhr sich Ekerold rund 50 Meter Vorsprung heraus, wurde Sieger des Deutschen WM Laufs und damit Weltmeister.
Danke Jochen. Und heute? „Rossi!“ kommt es wie aus der Pistole geschossen, „meine Frau hat immer noch alle heutigen Startnummern im Kopf, Biaggi hat 3, Barros 4 und Checa die 7 und wir beobachten sie schon sehr lange. Aber der Rossi steckt sie alle in die Tasche, der kann nicht nur Motorrad fahren, sondern ist auch sehr, sehr clever“.
Abends beim Bier kommen wir ganz tief in die alten Zeiten. Hier nur ein kleiner Auszug.
Zu seiner eigenen Karriere: „1948 trat ich mit der Startnummer 78 auf meiner Rudge Vierventiler mit Stahlgusskopf und Stößelstangen beim Nachwuchsrennen in Schotten an. Ein gewisser Friedel Münch, der eine Horex hatte, die aussah wie aus dem Laden, erklärte mir den Zusammenhang zwischen Lufttemperatur, Größe der Vergaserdüse und Wärmewert der Zündkerze.“
Zum Leben als Rentner: „Ich habe zwei zugelassene Motorräder, eine BMW R 80 G/S und eine R 1100 S. Im letzten Jahr kam ich auf immerhin mehr als 12.000 Kilometer. Das Motorradfahren macht mir riesigen Spaß. Am 23. September werde ich mit meiner Frau zusammen in Südtirol sein, auf das vordere Startnummernschild der R 80 G/S zwei Siebener kleben und ein paar Pässe fahren. Das ist dann mein eigenes Geburtstagsgeschenk!“
Zum heutigen Chef des Zirkus namens Formel 1: „Das erste Rennen als Chefkommentator hatte ich 1953 am Nürburgring. Der Renntag dauerte von acht bis 18 Uhr. Morgens waren die Motorräder dran, nachmittags die Autos. In der Formel 3 startete ein damals sehr unbekannter Engländer namens Bernhard Ecclestone. Sein Auto war ein Cooper mit einem 500er Einzylinder Motorradmotor. Diese Rennautos durften 400 kg wiegen und hatten fahrradähnliche Reifen.“
Zu seiner Art, die Rennfahrer am Startplatz zu begrüßen: „Ich spreche recht gut englisch und auch tschechisch, konnte aber in 14 Sprachen ’guten Tag Herr Soundso, willkommen in Irgendwo, viel Glück beim Rennen!’ sagen. Die entsprechenden Worte hatte ich mir in Lautschrift auf Karteikärtchen notiert. Sogar Japanisch war dabei! Das ‚konichi-wa, Takahashi-san!’ hatte mir der in Hamburg lebende Japaner Koichi Shimada aufgeschrieben – und ich habe natürlich vor der ersten Ansage abgecheckt, ob es nicht etwa ‚du Idiot’ auf japanisch hieß...“
Zum Streik 1974 am Nürburgring: „Damals hatten es die Rennfahrer nicht leicht, ihren Anspruch nach mehr Sicherheit durchzubringen. Die Nordschleife des Nürburgrings wurde von allen Rennfahrern schon immer sehr differenziert betrachtet. 1974 kam es dann zum endgültigen Streik der internationalen Spitzenfahrer, als Agostini und Volker Rauch, der damals Sportberichterstatter der Zeitschrift ‚Das Motorrad’ war, die anderen Fahrer aufwiegelten. Zum Glück fuhren wenigstens die Deutschen, es waren fünf oder sechs Mann pro Klasse auf der Strecke, sonst wären die Zuschauer ohne ein Rennen nach Hause gegangen.“
Zum damaligen Startprocedere: „Beim Schild ‚5 Minuten bis zum Start’ sollten die Motoren ausgemacht werden, der letzte Motor verstummte aber meist erst bei 3 Minuten, was meine Moderation zwar erschwerte, aber auch musikalisch untermalte, nie werde ich das tiefe bra-braaa, bra-braaa einer warmlaufenden Norton vergessen. Natürlich sind die seit Anfang der 80er Jahre gepflegten Starts mit laufenden Motoren viel sicherer, aber die Schiebestarts waren einzigartig!“
Zu den Deutschen, die er bei den GPs angesagt hat: „Nie vergessen werde ich den Günther Beer, der auf Adler und Honda bis in die späten 60er Jahre Rennen fuhr. Der war schon immer zu Anfang einer jeden Saison gut in Form, denn er besaß vier Schilifte in Sankt Andreasberg im Harz. Er war auch Schilehrer in Zürs und hat den Kindern der Königin Beatrix von Holland das Schifahren beigebracht. Ich erinnere mich auch sehr gerne an den Lothar John, der in allen Klassen auf allen möglichen Motorrädern erfolgreich war. Lothar hatte immer gute Laune, auch dann, als er einmal bei einem WM-Lauf in Hockenheim die Kette verlor, dennoch rollend an die Boxen kam, dort eine neue Kette montiert wurde und er noch in Wertung ins Ziel kam. Natürlich habe ich die deutschen GP-Stars wie Mang, Wimmer, Herweh und Roth sehr gerne angesagt, hier spielte auch der Nationalstolz eine Rolle. Habe ich den Schermer nicht auch mal kommentiert...?“
„Ja, 1978 beim WM Lauf am Nürburgring in der 350er und 500er Klasse, ich hab’s unter meinem Bell-Helm damals nur nicht deutlich genug gehört“, gebe ich ihm zur Antwort. Womit wir es dann auch gut sein lassen wollen.
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