Schon lange hatte ich vor, Hans Gerd Reichler in Wiedenest bei Gummerbach zu besuchen. In der letzten Januar-Woche hat es nun geklappt und ich konnte die Geburtsstätte des legendären Vierzylinder Maico-Motors und der nicht minder spektakulären HBJ Straßengespanne anschauen.
Von 1964 bis 1969 war Hans Gerd mit BMW-Gespannen im Junioren-Pokal unterwegs und wurde 1969 mit seinem BMW RS-Königswellen-Gespann (ex Arsenius Butscher) nur von Horst Owesle/Julius Kremer auf der URS geschlagen und damit Zweiter in der Gesamtwertung. Damals reifte in ihm der Gedanke, ein Gespann zu bauen, das ohne BMW-Motor an den Start gehen sollte. Um sich ganz diesem Vorhaben zu widmen, beendete er zunächst seine aktive Laufbahn.
Nachdem Ingenieur Schier aus der Entwicklungsabteilung von Maico die Zeichnungen seines Motors gesehen und ihm Unterstützung angeboten hatte, verbrachte Hans Gerd seine gesamte Freizeit im Maico-Werk in Pfäffingen und an der heimischen Drehbank. Der Motor sollte mit vier luftgekühlten 125ccm Maico-Zylindern und Kurbelwellen bestückt und über Zahnräder gekoppelt werden.
In dieser Zeit habe ich Hans Gerd zum ersten Mal beim Feilen von Zylinderbüchsen in Waldi Niesers Werkstatt getroffen. Damals hielt ich seine Idee, einen Maico Vierzylinder für den Gespannbetrieb zu konstruieren, für sehr gewagt - hatten wir doch schon Probleme, den Einzylinder standfest zu bekommen.
Innerhalb eines Winters schaffte Reichler tatsächlich, den Maico-Motor zum laufen zu bringen. Eingebaut wurde der Motor in ein gebrauchtes BMW-Kneeler-Gespann. In der Zeitschrift "Motorrad" 4/74 erschien ein Artikel von F-J Schermer, der die technischen Details von Motor und BMW-Getriebe zum Inhalt hatte. Mehrere Jahre setzte Hans Gerd das Gespann mit verschiedenen Fahrern im Junioren-Pokal ein, unter anderen Peter Alscher und Uwe Seitz. Er selbst schraubte, was das Zeug hielt.
Als nächstes Projekt entstand 1978 die Reichler-König. Bernd Dawicki, schneller Gespannpilot aus Berlin, besorgte den Motor und gemeinsam bauten sie das Gespann auf, mit dem Dawicki erfolgreich Rennen bestritt. Noch heute wird dieses Gespann bei Oldtimer-Veranstaltungen eingesetzt.
1980 bekam Reichler überraschend Besuch von dem späteren Gespann-Weltmeister Jock Taylor. Er brauchte nach einem Abflug in Hockenheim kurzfristige Hilfe. Hans Gerd reparierte an dem Windle-Gespann Gabel und Rahmen und studierte dabei die Fahrwerksgeometrie des erfolgreichen Gespanns. Er wollte herausfinden, warum man mit diesem relativ kurzen Gespann so schnell unterwegs sein konnte.
Jock Taylors Windle-Fahrwerkdaten gingen Hans Gerd nicht mehr aus dem Kopf und so entschloss er sich, für die Weiterentwicklung des Maico-Projekts einen neuen Rahmen zu bauen: einen Alu-Monocock-Rahmen, der gleichzeitig als Tank diente. Das neue Maico-Gespann mit inzwischen wassergekühlten Zylindern hatte ungeheures Potential. Mit einem Getriebe der Yamaha OW31 konnte auch der Kettenantrieb realisiert werden.
Allerdings war der gesamte Aufwand neben Reichlers regulärer Arbeit als Hersteller von Spezialmaschinen immens. Und Bernd Dawicki musste ja auch immer aus Berlin anreisen. Langsam reifte die Idee: weniger schrauben - mehr fahren!
So beschlossen Hans Gerd Reichler, Bernd Dawicki und Jesco Höckert, der inzwischen dazu gestoßen war, für jeden der Drei ein straßenzugelassenes Renngespann zu bauen. Der Yamaha FJ 1100 Sporttourer war neu auf dem Markt und sollte für den Antrieb sorgen. Alle Gespanne, die damals auf den Landstraßen unterwegs waren, waren lediglich Solomotorräder mit Hilfsrahmen und angeschraubtem Seitenwagen. Meistens waren 125 x 15 Michelin-Reifen, wie sie auch für den Citroen 2CV verwendet wurden, montiert. Entsprechend labil war das Fahrverhalten. Unsere Drei gingen ihr Projekt, nach ihren Vornamen HBJ genannt, grundlegend anders an. Nur mit Breitreifentechnik konnte man geeignete Reifen mit weichen Gummimischungen aufziehen. Durch den Rahmen bildeten Motorrad und Seitenwagen eine fest verbundene Einheit. An der TH Aachen wurde der Rahmen auf Festigkeit und Fahrsicherheit geprüft und als das Gespann aufgebaut war, einer ausgiebigen Fahrerprobung unterzogen. Ohne Beanstandungen gab es die TÜV-Plakette.
Bei einem Gespann-Lehrgang auf der Nordschleife entdeckte „Motorrad“-Redakteur Mini Koch die außergewöhnliche Konstruktion, und in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift erschien ein Artikel, in dem er begeistert darüber berichtete. Plötzlich war Aufruhr in der Szene und auch andere Fahrer wollten so ein HBJ Gespann bestellen. So wurde der Entschluss gefasst, es nicht bei drei Gespannen zu belassen, sondern die Anzahl auf insgesamt 10 zu erhöhen.
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Zu dieser Zeit habe ich Hans Gerd dann wieder getroffen. Ich war damals im Vorstand des neu gegründeten Motorrad-Vereins MOTO-AKTIV. Wir veranstalteten Fahrerlehrgänge und Rennen für Straßenmotorräder und –gespanne auf permanenten Rennstrecken. Was Hans Gerd Reichler und Bernd Dawicki damals bei den Rennen mit ihren HBJ Gespannen veranstalteten, wird niemand vergessen, der dabei war. Matthias Kautzsch, der "Erfinder" von MOTO-AKTIV, setzte sich bei Gespann-Lehrgängen auch gerne auf Reichlers HBJ.
Durch die Erfolge bei den Rennen und die Tourentauglichkeit überzeugten die Gespanne, sodass schließlich 60 Gespanne (35 mit Yamaha FJ Motor, 25 mit anderen Motoren) die Werkstatt von Hans Gerd verließen. In den 90er Jahren sogar mit Radnabenlenkung. Auch da war er Pionier, denn erstmals kam diese Technik bei Straßengespannen zum Einsatz.
Für mich war es immer ein Traum, ein HBJ zu besitzen, aber es wird ein schöner Traum bleiben.
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