Die saarländische Kreisstadt St. Wendel ist unter Motorsportanhängern auch als „Rennstadt“ bekannt. Als erste Motorsportveranstaltung nach dem 2. Weltkrieg im Saarland wurde bereits im August 1948 ein Geschicklichkeitsturnier für Motorräder durchgeführt. Große Zeiten erlebten die Saarländer dann von 1949 bis 1964, als auf dem Stadtkurs die Motoren von Rennmotorrädern dröhnten. Insgesamt vier nationale und zwölf internationale Veranstaltungen wurden unter der Bezeichnung Großer Preis des Saarlandes und nach dem Anschluss an die Bundesrepublik Deutschland als Internationaler Preis des Saarlandes durchgeführt. Aus verschiedenen Gründen war dann Schluss, doch nach 18 Jahren Motorsportabstinenz gab es ab 1982 wieder Motorradrennen. Auf öffentlichen Straßen und teilweise sogar auf Teilen des früheren Kurses lieferten sich die Fahrer in der Deutschen Meisterschaft packende Positionskämpfe. Doch die eingesetzten Rennmotorräder wurden für den Kurs zu schnell und nach zwei tödlichen Unfällen war 1992 wieder Schluss. Mit der Austragung von Super-Moto-Rennen war Motorsport und St. Wendel weiterhin eine Verbindung. Mit dem Ziel, die Straßenrennen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, fanden sich einige Unentwegte, die 2009 dann, praktisch als Hommage an frühere Zeiten, eine Klassik-Veranstaltung aus dem Boden stampften. Im August 2014 fand diese Veranstaltung nunmehr bereits zum vierten Mal statt. Im sogenannten Wendelinuspark beim früheren französischen Kasernengelände drehten wieder Motorräder ihre Runden, aber nicht bei einem Rennen, sondern im Rahmen von Präsentationsläufen.
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Im Jahr 1954 wurde der Hechinger Georg „Schorsch“ Braun in St. Wendel Sieger in der 250ccm Klasse. Braun (1918 – 1995) entwickelte bereits 1939 motorsportliche Aktivitäten, doch Wehrdienst und die kargen Nachkriegszeiten erlaubten erst ab 1950 deren Fortsetzung. In den folgenden Jahren bis 1955 konnte er auf verschiedenen Marken und in unterschiedlichen Klassen große Erfolge erzielen. Nach einem Sturz bei der Tourist Trophy auf der Isle of Man zog er sich aus dem Rennsport zurück. Die von ihm geführte Motorrad-, später Autowerkstatt mit Tankstelle an der B 27 war aber immer wieder Anlaufpunkt für Motorsportbegeisterte und ehemalige Rennfahrer.
1953 übernahm Georg Braun von dem Karlsruher Roland Schnell eine von diesem aufgebaute Horex 250. Schnell, selbst Rennfahrer und Deutscher Meister, war ein begnadeter Konstrukteur und Hersteller von Fahrwerken sowie überaus leistungsstarken Motoren. Über die Anzahl der gebauten Schnell-Horex liegen keine genauen Angaben mehr vor. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass es nur eine 250ccm Maschine gab, eben die, mit der Schorsch Braun in St. Wendel den Lorbeerkranz errang.
Diese Maschine stand dann nach verschiedenen Umwegen in den 1990er Jahren in einem Motorradmuseum in der Schweiz. Nach einigen Versuchen und Verhandlungen kam sie vor 17 Jahren wieder zurück nach Hechingen. Florian Braun, einer der Söhne, konnte sie erwerben und hütet sie seither sorgfältig.
60 Jahre nach dem Sieg seines Vaters in St. Wendel war es Ehrensache, dieses Motorrad dort bei der Motorsport-Klassik zu präsentieren. Der Siegerpokal von damals, ausgestellt auf einem originalen altem Gartenstuhl mit Horex-Zeichen und einer Infotafel mit Zeitungsausschnitten zur Motorsportkarriere seines Vaters, waren eine entsprechende Umrahmung. In St. Wendel vor Ort war ein weiterer Hechinger, der zweimalige Vize-Weltmeister im Seitenwagensport Horst Burkhardt. Dass die Horex unter seinem Zeltdach stand, war da selbstverständlich. Das Interesse war groß, zahlreiche Fotos wurden geschossen und Florian Braun mit Fragen zu Motorrad und seinem Vater gelöchert. Am Samstagabend, beim Rennfahrerball, gestand er dann in einem Interview dem Mitorganisator und Co-Streckensprecher Bernd Boullion: „Schon den ganzen Tag läuft es mir immer wieder heiß und dann kalt den Rücken rauf und runter, da ich mit solchen Reaktionen nicht gerechnet hatte“. Florian Braun war übrigens nicht das erste Mal in St. Wendel. Bei einem der Straßenrennen in den 1980er Jahren war er als Teenager mit seinen Eltern vor Ort. Als der damalige Streckensprecher Jochen Luck dann seinen Vater zu einem Interview bat, wurde ihm zum ersten Mal bewusst, wie erfolgreich und bekannt dieser war. Im elterlichen Haus aufbewahrte Pokale und Siegerkränze betrachtete er von nun an mit ganz anderen Augen. Die Leidenschaft für Motorräder, aber auch für die Rennsportgeschichte war wohl ab da geweckt und spiegelt sich in einer entsprechenden Sammlung, die ihre Krönung in der Horex 250 fand, wieder.
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