Um es vorweg zu nehmen und auf den Punkt zu bringen: Diese Motorsportveranstaltung war - passend zum Ortsnamen - das im positiven Sinn eigenartigste Motorradrennen, das ich bisher erlebt habe. Und da ich mich seit den Siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit Motorsport beschäftige und mich nicht auf wenige Kategorien beschränke, sondern „breit aufgestellt“ bin, waren das sicher über 150 Veranstaltungen unterschiedlichster Art. Wie sich an diesem Wochenende herausstellen sollte, war ich bisher nicht breit genug aufgestellt.
Es handelt sich um ein Oldtimer-Rennen / „Racedemo“ der "Historischen Motorsport Vereinigung" (HMV) mit rund 250 Startern in 11 Klassen. Auch etliche Berühmtheiten wie z. B. Jim Redman, Freddie Spencer, Jürgen van den Goorbergh, Marcel Ankoné, Theo Bult und Alex George waren anwesend und fuhren in den beiden Prominentenklassen „GP-Teilnehmer“ bzw. „Honda-Legenden“ mit.
Wir befinden uns in einem kleinen Dorf mit vielleicht 500 oder 1000 Einwohnern im Norden Hollands unweit von Assen. Es ist absolut flaches Land mit höchst bäuerlichem und - pardon - biederem Charakter, locker besiedelt; der nächste Ort sicher mindestens 5 km entfernt. Die Rennstrecke führt mitten durch das Dorf durch engste Gassen, zum großen Teil über Kopfsteinpflaster. Sie ist an keiner Stelle breiter als 6 bis 7 Meter, an einigen Stellen aber deutlich schmäler. Übrigens fahren auch Gespanne. Die komplette Strecke wird durch Hunderte von Absperrgittern an beiden Seiten komplett umrundet, von Assen ausgeliehen. Strohballen, in weiße Folie eingepackt, stellen an neuralgischen Stellen die notwendig(st)e Sicherheit her.
Direkt hinter den Gittern stehen die typischen Backsteinhäuser, Zäune weitgehend unbekannt, Gardinen ebenso. Äußerst gepflegte Rasenflächen und liebevoll angelegte Gärten.
Der Eintrittspreis für Zuschauer, die nicht im Dorf wohnen, beträgt schmalhansige 3 € und das auf hochwertigsten Kartonpapier gedruckte Programmheft enthält zwar viel Werbung von meist in der Gegend angesiedelten Sponsoren, wartet aber auch mit etlichen Informationen über die Promis auf. Der Verkaufspreis der Veranstaltungs-T-Shirts (zeitlos, ohne Jahreszahl) passt dazu - 2 (!) €!
Da nur am Sonntag gerannt wird, kann die Strecke am Samstag von den ebenfalls im Ort anwesenden rund 50 historischen Traktoren genutzt werden, die im Rahmen ihres Treffens eine kleine Ausfahrt machen. Auch die kann man - da frei zugänglich - ausgiebig besichtigen.
Da wir schon am Freitag anreisen, können wir beobachten, wie Dutzende freiwilliger Helfer die Strecke und z. B. eine Behelfsbrücke aufbauen. Diese ermöglicht den Dorfbewohnern die Flucht nach außen und den Zuschauern von außen den Zugang zum Innenbereich, in dem sich Veranstaltungszelte, die üblichen Pommesbuden, das Ausstellungszelt für die Hondas und das Fahrerlager für die Promiklassen befinden. Auch einige freistehende Gasgrills und ein runder Eisengrill, ca. 1,2 m Durchmesser, in dem die Holzscheite zur Glut werden, kann zum Grillen verwendet werden. Man erhält das Grillgut - Wurst, Frikadelle, Steak an der Theke und grillt dann selbst. Neben mir steht Alex George, der uns fast ein Steak entführt - sein eigenes ist etwas klein geraten.
Das Ausstellungszelt beherbergt etwa 10 legendäre Hondas, z. B. die Langstreckenrennmaschine von Leon und Chemarin, später u. a. auch Alex George, aber auch eine serienmäßige CB 450 aus den Siebzigern. Die Qualität der Motorräder hält allerdings strengeren Ansprüchen in Betreff auf die historische „Serienmäßigkeit“ teilweise nicht ganz stand. Aber schön anzusehen sind auch die Nachbauten sehr wohl! Und richtig wertvolle klassische - originale - Rennmotorräder kann man im Fahrerlager zuhauf finden. So bringt z. B. Günther Knuppertz, Mitglied der "Amicale Spirit of Speed", eine Werks-Yamaha von Eddie Lawson und eine Honda RS500 Dreizylinder an den Start.
Das Motto der Veranstaltung „Honda Legenden“ wird am Samstagabend auch durch ein mehrstündiges Interview geprägt, das der holländische Streckensprecher 'Mister TT' Jaap Timmer recht intelligent mit den ehemaligen Honda-Werksfahrern Jim Redman, Alex George und Freddie Spencer führt. Jurgen van den Goorbergh, der bis vor wenigen Jahren Moto-GP und Supersport gefahren ist und heute bei der Rallye Paris-Dakar aktiv ist, kann interessante Details aus dem aktuellen Rennsport erzählen. Die Promis befürworten ein ´back to the roots´ im Rennsport in mancherlei Hinsicht; aber insbesondere bei der Nähe der Fahrer zu den Besuchern. Das dokumentieren sie wahrlich durch ihre Anwesenheit hier!
Am Sonntag bekommen die Hondas im Zelt allerdings Aufmerksamkeitskonkurrenz durch ein ganztägig ablaufendes Bodypainting, bei dem sich vier barbusige Frauen in bunte Kunstwerke verwandeln. Es macht mir Spaß, das Fortschreiten der Verwandlung durch regelmäßige Besuche im Zelt zu verfolgen. Als ich morgens zum ersten Mal den Sachstand mit einem Foto dokumentiere, bekomme ich von einer älteren Besucherin einen vorwurfsvollen Blick und ein gemurmeltes „Das ist doch noch gar nicht fertig!“.
Am Sonntagmorgen will Alex George seinen englischen PKW der unteren Mittelklasse neben meinem Wohnmobil parken, fragt aber höflich, ob er sich dort hinstellen dürfe! Natürlich schließt sich, wie bei Engländern und Schotten üblich, ein Zwiegespräch über das Wetter (gerade jetzt im Augenblick, dann im weiteren Tagesablauf und zum Abschluss darüber, wie es gestern war) an, bis er dann sagt. jetzt brauche er einen Kaffee. Leider war meiner schon getrunken - ich bin fast sicher, er hätte einen genommen! Beim Interview gestern Abend hätte er sich übrigens gewünscht, dass sich die Fahrer untereinander mehr hätten unterhalten können; vielleicht auch unter Beteiligung des Publikums!
Jim Redman fährt mit seinen 83 Jahren ab und zu mit und präsentiert vor einem deutschen Wohnmobil an beiden Tagen ausdauernd Poster, Bücher, Mützen u. ä. Dabei lässt er sich aber gern von jedem in ein Gespräch verwickeln. Was treibt einen 6-maligen Weltmeister seines Ruhms dazu an?
Wo findet eigentlich die Fahrerbesprechung für die beiden Promiklassen statt? Keiner weiß es so genau. Alle Fahrer finden sich zunächst in dem größeren Pavillon, ein, in dem am Samstag die Begrüßung stattfand - übrigens unter Anwesenheit aller freiwilliger Helfer, die bei dieser Gelegenheit außer einem T-Shirt ein großes „Danke“ und Freibier erhielten(!). Aber nicht dort wird sie abgehalten, sondern in einem eigens dafür aufstellten etwa 6 Meter langen Zelt ohne jegliche Möblierung. Da der Rennleiter sich verspätet, das Zelt aber noch zugeknöpft ist, wird selbst Hand angelegt: Zelt auf, alle rein und warten, ob wer kommt. Freddie Spencer wie immer, wenn er keine Autogramme geben muss, beide Hände tief in den Hosentaschen vergraben; Alex George macht Fotos von allen.
Ein Radio-Ü-Wagen ist übrigens auch da; die Promis antworten auf die Fragen von zwei Reportern.
Zum 15. Mal hat es der kleine Ort 2014 geschafft, eine derart tolle und außergewöhnliche Veranstaltung aufzuziehen, die - wie hoffentlich aus meiner Schilderung und den Bildern erkennbar - auch kuriose und skurrile Züge trägt. (In diesem Zusammenhang sollte ich noch den Kuchenback-Wettbewerb erwähnen, der am Rande stattfand. Die Juroren bewerteten mit Stift und Papier; es gab eine Torte mit dem Veranstaltungs-Logo und eine mit dem Verlauf der Rennstrecke.) Dem Vernehmen nach gibt es aber ähnliche Events noch an einigen anderen Orten in Holland und Belgien wie z. B. in Grambergen und Barneveld.
Für Deutschland allerdings kann ich mir eine solche Veranstaltung leider nicht vorstellen. Fraglich, ob es dafür genügend Sponsoren und freiwillige Helfer geben würde. Und mindestens drei Bürgerinitiativen und fünf Behörden würden der Absicht eines potentiellen Veranstalters gewichtige Hindernisse in den Weg legen. Schade!
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