Dann werden alle alten MV-Bücher herausgeholt und auch neue gekauft. Und auch in alten Magazinen gestöbert, im Internet sowieso. Freunde mit Italienisch-Kenntnissen werden genervt. Scheinbar existiert von den Maschinen der vor-Surtees-Ära (vor 1956) nur noch die im MV- Museum mit der seltsam anmutenden geschobenen Langschwinge. Also müssen wir auf Fotos, und auch die nur in schwarz-weiss, zurückgreifen.
Zum Zielobjekt der Arbeiten wird das 52er Modell mit Telegabel, Kettenantrieb und 4 Vergasern. Auf den Fotos sieht man diese Maschine alternativ mit 4 in 2 und 4 in 4 Megafonen und mit 230er Einfachsimplex- oder Doppelsimplex Vorderradbremse. In diesen Jahren hat MV offensichtlich noch viel experimentiert, insbesondere beim Fahrwerk.
Und weiter geht es mit Beschaffungsproblemen. Bremsen und Gabeln wurden damals wohl von MV selbst hergestellt. Da wir nicht Teile gießen lassen wollen, müssen wir vergleichbare Serienteile suchen. Die einzige 230 Doppelsimplexbremse wurde von Grimeca für die 650er Benelli gebaut. Allerdings hatte diese grausliche Ankerplatten, und man muss erstmal eine auftreiben. Nach einem ¾ Jahr findet sich eine, natürlich in schlechtem Zustand. Nach vielen Stunden Arbeit ähnelt sie dem Original.
Zu einem solchen Motorrad passen natürlich nur Dellorto SS1 Vergaser. Diese werden neuerdings auch wieder hergestellt, aber zu welchem Preis! Tatsächlich findet Rolf in seinem Fundus eine Dellorto-Vergaserbatterie, aber 29er. Das ist viel zu groß für eine 500er. Also wieder viele Stunden an der Drehbank, doppelt konische kleinere Mischkammereinsätze drehen.
Zudem sind viele Motorteile einfach zu schwer und deshalb für eine Rennmaschine nicht akzeptabel. Kupplung, Schaltwalze und Zahnradkaskade müssen erleichtert bzw. in Aluminium nachgebaut werden.
Da wir den Hubraum auf 500 ccm reduzieren wollen, müssen die Zylinder ausgebuchst werden. Aus Grauguss würden diese Büchsen sehr schwer, also auch diese aus Aluminium drehen und dann Nikasil beschichten lassen. Der defekte Brennraum im Zylinderkopf muss geschweißt werden, danach richten, planieren, nacharbeiten, neue Ventilsitze und -Führungen einbauen.
Ein wie damals vom Werk verwendeter Magnetzünder scheidet aus, weil dieser nicht an das vorhandene Motorgehäuse passt. Wir bleiben bei Batteriezündung und dem Autoverteiler. Allerdings wird eine kontaktlose Zündung verwendet.
Eine weitere Herausforderung stellte der Umbau auf Kettenantrieb dar. Ich wollte die Abtriebswelle unbedingt auch außerhalb der Kette lagern. Auch die Kupplungsbetätigung muss komplett neu gebaut werden. Da die Schaltwelle der Kette im Weg ist, braucht es ein sehr großes vorderes Kettenritzel, und dadurch auch ein entsprechend riesiges hinteres Kettenrad.
Parallel wird ein Rahmen zum Umbau gesucht. Steuerkopf und Schwingenlagerung muss man nicht unbedingt auch noch selbst anfertigen. Auf Ebay findet sich ein entsprechender nackter Rahmen. Ein dickes Rohr unter dem Tank, zwei weit gespreizte Rohre unter dem Motor, wie beim Vorbild. Das ganze Hinterteil wird sowieso abgesägt. Aber dann passt das Motorgehäuse doch nicht wie gedacht zwischen die Unterzüge, also zusätzliche Schweißarbeit. Und ohne einen demontierbaren Unterzug geht es auch nicht. Außerdem will ich noch zusätzliche Halter zwischen Motor und Rahmen anbringen.
Die Sitzbank wird der auf den Fotos erkennbaren nachempfunden, bezogen natürlich mit rotem Leder. Ein geeignet erscheinender Tank findet sich auf einem italienischen Teilemarkt, aber es müssen noch die typischen Knieausbuchtungen angeformt werden. Dann spachteln, schleifen, füllern und wieder schleifen und lackieren. Das Spannband wird aus Edelstahlblech gelasert. Und immer wieder müssen passende Teile beschafft und Detaillösungen erarbeitet werden. Schutzbleche, diverse Halter, Züge, Zündspule, Kabelbaum. Nach langem Suchen findet sich auch der korrekte Drehzahlmesser, ein Smith bis 12000 U/min, sogar richtig günstig (sicher ein Nachbau aus Indien), hoffentlich funktioniert das Ding.
Endlich ist dann auch der Zylinderkopf fertig bearbeitet, so dass mit einem extra angefertigten Kolbenbodenmuster die Kolbenform und mit Auslitern das Verdichtungsverhältnis festgelegt werden kann. Auf geht es zur Firma Wahl, um die Kolben zu bestellen. Dieser Betrieb (insbesondere der Seniorchef) sind ein echtes Erlebnis für Insider. Aus einem kleinen Holzschuber holt er doch tatsächlich einen MV-Musterkolben, beschriftet mit SURTEES. Mit dem können wir aber nichts anfangen, dazu gehört eine ganz andere Brennraumform. Meine Skizzen und Zeichnungen interessieren ihn weniger, aber der Musterkolben gefällt ihm. Und Gott sei dank gibt es moderne 53er Kolbenringe. Dann reden wir noch über Lieferzeit und den Preis.
Erneut auf Tour: Es müssen die nikasilbeschichteten Zylinder abgeholt werden. Beim ersten Montageversuch stoßen die Pleuel unten an den jetzt im Durchmesser viel kleineren Laufbuchsen an, also wieder Nacharbeit. Ventilspiel messen, Nockenwellen und Tassenstößel raus, neue Kappen anfertigen, wieder rein. Messen, und wieder raus und wieder rein, und alles mal vier. Das Spiel der Nockenwellenzahnräder kann nur mittels der Stärke der Kopfdichtungen eingestellt werden. Wir brauchen dünnere Dichtungen. Kopf runter und wieder drauf, messen, prüfen. Und dann nochmal das gleiche Spiel zum Einstellen der Steuerzeiten, es waren keine Markierungen zu finden. Irgendwann steht dann der Motor einbaufertig zusammengebaut auf der Hebebühne. Meine Güte ist das Ding schwer, wie kriege ich den in den Rahmen? Am besten, ihn auf der Hebebühne stehen lassen und das Fahrwerk darüberschieben – Millimeterarbeit, aber es passt. Dann noch schnell die Vergaser drauf und den Tank und jetzt erst mal ein paar Fotos machen. Der Anblick ist wie erhofft, der Motor dominiert total.
Aber es gibt noch ein paar Baustellen: Die Verkleidung, an dem Rohling wird wieder gesägt, modelliert, gespachtelt und geschliffen. Und eine kleine Plexiglasscheibe wird passend geformt. Dann macht die Auspuffanlage noch einmal viel Arbeit. Die vier Krümmer und Megafone sollen natürlich möglichst eng an Rahmen und Motor anliegen. Vorne wird es an den Rahmenrohren zu eng, also nochmal auftrennen und leicht verdreht wieder zusammenschweißen. Zwischendurch muss die Zündanlage geprüft und wenigstens grob eingestellt werden. Gar nicht so einfach, statisch geht es nicht, die Elektronik braucht eine gewisse Mindestdrehzahl. Also müssen zwei zusätzliche Hände her. Nach einer Weile Probieren mit dem Stroboskop haben wir es. Den Tank noch innen versiegeln, damit er speziell an den Stellen, wo ich die Kanten einkürzen musste, auch wirklich dicht ist.
Und dann wird DER TERMIN festgesetzt, Samstag, der 4. November 2017. Klaus hat uns in seinen Werkstatthof eingeladen, einige Helfer und Zeugen wollen unbedingt auch dabei sein. Aber zuerst läuft Benzin aus, ein Haarriss im Schwimmerkammerstutzen. Nach der Notreparatur geht es auf die Startmaschine, zweiten Gang einlegen, Fußschalter der Startmaschine treten, warum zündet sie nicht? Vor lauter Aufregung habe ich vergessen, die Zündung einzuschalten. Aber dann spricht sie mit uns, der unverwechselbare Vierzylinderklang ertönt. GROSSES KINO! Alle strahlen. Der Motor läuft mechanisch ruhig, hört sich gesund an. Nochmal die Zündung nachstellen, dann darf sie höher drehen, KLASSE. Meine Güte, alles funktioniert, nach so vielen, vielen Mühen! Aber soweit nur quasi im Stand – was wird der Galopp auf einer Rennstrecke ergeben? |