Kutsche auf zwei Rädern.Eine Tour mit dem Reitwagen von Daimler und Maybach Vor 125 Jahren fuhr das erste Motorradmit schnelllaufendem Viertaktmotor. Wir fuhren es.
|
Testfahrt von Harry Niemann mit 6 km/h Foto: Markus Bolsinger |
Es sieht recht skurril aus, das Motorrad komplett aus Holz mit eisenbeschlagenen Kutschenrädern. Der Testfahrer tritt dem Gefährt mit gebührendem Respekt entgegen. Zum Starten nähert sich zunächst ein Mechanikus mit brennender Lötlampe. Mit dieser wird das zur Zündung notwendige Glührohr erhitzt. Sobald dieses die angemessene Temperatur erreicht hat, wird nach dem Öffnen der Benzinzufuhr am Hinterrad des aufgebockten Gefährts gezogen. Nach einigen Puffs kommt das erlösende Töff, Töff, Töff in immer regelmäßiger Abfolge. Der Reitwagen von 1885 läuft. Das hölzerne Pferd wird nun an den Reitersmann übergeben, mutig auf dem lederbespannten Sattel Platz nehmend. Wie wird sich solch ein Gefährt fahren? Sind die seitlich angebrachten Stützräder hinderlich oder hilfreich? Sie verraten jedenfalls, dass Fahrrad-Erfahrung weder bei Daimler noch Maybach vorhanden war. Der Riemenritzel-Antrieb ist auf die erste Stufe eingestellt und es gilt nun einen Hebel, der in der Rahmenmitte angebracht ist, nach vorne zu drücken, um das Gefährt in Bewegung zu setzen. Das Motorrad hat ein Zweiganggetriebe. Die Gangwahl erfolgt durch Riemenwechsel, was nur bei Stillstand des Fahrzeugs erfolgen kann. Die zwei zu erreichenden Geschwindigkeiten liegen bei 6 und 12 km/h. Ermöglicht wird dies von einem luftgekühlten Einzylindermotor, der stehend eingebaut ist. Der Hubraum beträgt 0,212 Liter bei einer Bohrung von 58 und einem Hub von 100 Millimetern. Die Besonderheit des Motors ist, neben der von Maybach entwickelten ungesteuerten Glührohrzündung, die Steuerung des Auslassventils vermittels einer Kurvennutenscheibe, - eine Daimler Erfindung. Bei 600 U/min leistet die Maschine ein halbes PS. Nicht gerade viel für ein Gewicht von 90 Kilogramm plus Fahrer. Die Kühlung erfolgt mittels Gebläse. Schon die 6 km/h sind bei einem Fahrwerk ohne Nachlauf und eisenbeschlagenen Rädern abenteuerlich. Dennoch kann der Chronist konstatieren: Es fährt sich wie ein echtes Motorrad, wenn auch wackelig und etwas holprig. |
Schon am 10. November 1885 hatte der damals neununddreißigjährige Maybach mit diesem Fahrzeug die 3 km lange Strecke zwischen Cannstatt und Untertürkheim ohne Probleme zurückgelegt. Auf den Sandwegen des Cannstatter Kurparks erweisen sich die eisenbeschlagenen Kutschräder sogar als kleiner Vorteil, indem sie sich in den Boden eingraben und damit eine kleine Steilwand schaffen, so dass moderate Schräglagen möglich sind. Zum Anhalten wird der Hebel nach hinten gezogen womit man zum einen das Gas wegnimmt. Zum anderen presst sich ein Bremsklotz – analog dem beim Pferdefuhrwerk gebräuchlichen - auf den Stahlkranz des Hinterrads. Auf dieses "Fahrzeug mit Gas- bzw. Petroleum-Kraftmaschine" bekam Daimler am 29. August 1885 das DRP 36423. Der Patentanspruch 1 für dieses Fahrzeug lautete: "Die Anordnung eines Gas- bzw. Petroleumsmotors unter dem Sitz und zwischen den beiden Fahrzeugachsen eines einspurigen Fahr- oder Schlittengestelles mit dem Schwerpunkt in der Verticalebene der Spur zum Zweck gleichmäßig verteilter niedriger Aufhängung...“ Die im ersten Anspruch ebenfalls aufgeführte motorisierte Schlittenkonstruktion beruhte auf dem Zweirad. Das Vorderrad wurde dabei einfach durch eine Kufe ersetzt, das Hinterrad mit einer Verzahnung versehen. Diese Version kann für sich getrost in Anspruch nehmen, der erste Motorschlitten der Welt zu sein. Ebenfalls Inhalt des Patents ist die Beschreibung einer Benzineinspritzung anstelle eines Vergasers, für die Maybach bereits eine Skizze ausgeführt hatte. Damit war schon 1885 das Prinzip der Benzineinspritzung in das Ansaugrohr klar formuliert. Auch die Vergaserkonzeption war Bestandteil des Patents. Anstelle des bislang gebräuchlichen Oberflächenvergasers hatte Maybach erstmals einen Schwimmervergaser für das Reitrad entwickelt. Durch die Verwendung eines Schwimmers wurde gewährleistet, dass der Benzinstand auf einem konstanten Niveau blieb, denn nur so konnte ein gleichbleibendes Kraftstoff-Luftgemisch erzeugt werden. Dieser Vergasertyp wurde fast ein Jahrzehnt verwendet, obwohl er extrem groß war (fast so groß wie der ganze Motor). Eine weitere Novität lässt sich im Patent finden, das sich wie folgt fortsetzt: „...die Umschließung des Motors durch einen Kasten, der gleichzeitig als Sitz des Fahrzeuges dient, zum Zweck allseitigen Schutzes desselben, und die Beheizung dieses Kastens durch die überschüssige Wärme des Motors." Damit kommt Daimler und Maybach überdies das Verdienst zu, die Sitzheizung in den Kraftfahrzeugbau eingeführt zu haben. Bei allen Vorzügen für den Zweiradfahrer bei kühlen Temperaturen vermerkt unser Testfahrer gleichwohl einen entscheidenden Mangel: Die Sitzheizung lässt sich nicht abstellen. |
|
Text: Dr. Harry Niemann |
----------------------------------------- |