In der langen und spannenden Geschichte der Motorisierung gibt es viele Beispiele, wo große Hersteller wegen falscher Modellpolitik oder Fehlkalkulation ihre Tore schließen mussten. Aber es gibt auch einige Fälle in denen es ganz nach Schließung aussah, in letzter Minute aber ein neues Modell wie Phönix aus der Asche erschien und den Fortbestand des Herstellers sicherte. Da braucht man nur an BMW zu denken, wo in den späten fünfziger Jahren mit Barockengel, Isetta und 600er kein Geschäft mehr zu machen war - und dann kam der 700er! Ähnlich lief es bei Moto-B/Motobi, wo das Urmodell „B 98“ mit all seinen Nachfolgetypen bis hin zur „B 125“ von 1953, die Käuferschaft nicht zu überzeugen vermochte und die Bilanzen in die roten Zahlen rutschten. Dann erschienen auf der Mailänder Messe im Dezember 1953 zwei ganz neue Modelle, welche die Herzen der Käufer im Sturm eroberten. Das war zum einen die Zweizylinder „B 200“, welche als Topmodell für Renommee sorgte, mit überschaubaren Stückzahlen aber keine großen Gewinne erwirtschaftete, zum anderen die kleine Schwester, die 125er Einzylinder „Ardizio“, welche formal gelungen war, technisch keine Schwachpunkte aufwies und mit großen Stückzahlen wieder Geld in die Kassen fließen ließ. Dies erlaubte Motobi 1955 gar einen überzeugenden Einstieg in den Motorsport und ermöglichte 1956 den Einstieg in die Produktion von Viertakt-Einzylindern, welche bei uns als „Krafteier“ sehr populär wurden. Das lag an der überaus positiven Berichterstattung von „Klacks“ Leverkus im „Motorrad“ und prägte hierzulande das Bild von Motobi.
Dabei wurden die Zweitakttypen in Form der 200er Zweizylinder nur am Rande erwähnt, die „Ardizio“-Typenreihe mit keinem Wort gewürdigt. Solch eine Ardizio war nur ein einziges Mal auf einem Foto im „Motorrad“ zu sehen, ohne dass im Text Bezug auf dieses Modell genommen wurde. Dies in einem Bericht im Herbst 1957 vom Nürburgring, wo eine Motobi-Mannschaft mit Luigi Benelli und dem Chefkonstrukteur Piero Prampolini zu Testzwecken mit aktuellen Motobis vor Ort war. Vor Ort waren damals auch die Porsche Versuchsfahrer Denk - ein reiner Automann - und Walfried Winkler, vormals Europameister auf einer Ladepumpen-DKW. Und Luigi Benelli gab dem Wunsch der Beiden auf eine Runde mit Motobis auf dem Ring nach, mit der Maßgabe, der Verlierer habe abends eine Runde auszugeben. So bekamen Denk und Winkler je eine 125er - und Denk kam als Erster aus der Runde zurück! „Europameister geschlagen“ lautete nach einem Telefonanruf am nächsten Tag die Schlagzeile in einer italienischen Zeitung. Na ja, wer das Foto von Denk und Winkler aufmerksam betrachtete, dem fiel auf, dass der Denk auf einem Viertakter saß, der Winkler aber auf einem Zweitakter. Das waren beides 125er, die Viertakt „Imperiale“ von Denk zwar nur mit einem Hauch mehr an Leistung angegeben als die „Ardizio“, aber offensichtlich dem Zweitakter von Winkler auf der Strecke überlegen. Na ja, es war halt nur ein Spaß!
Die Motobi-Mannschaft hatte damals natürlich die aktuelle Modellpalette dabei und da war der Zweitakter nur noch das abgespeckte Billigmodell, das die Modellreihe nach unten hin abrundete. Hätten die doch nur die zwei Jahre ältere und nicht mehr im Programm befindliche „Ardizio Sport“ für den Winkler dabei gehabt - Denk hätte ihn auf der Zielgeraden schon nicht mehr gesehen. Dieses Sportmodell war vor dem Erscheinen der Viertakter nämlich das Spitzenmodell von Motobi in der 125er Klasse gewesen und wartete auf technischer Seite mit allem auf, was damals angesagt war. Aluzylinder, 22er Dell'Orto, Alu-Telegabel mit Zug- und Druckstufendämpfung, Alu-Vollnabenbremsen und -Felgen, dazu eine umwerfende Optik und all das war sogar gut genug, um 1956 in der „Derivate Serie“-Klasse der „Motogiro“ mitzumischen. Mit dem Teil unterm Hintern hätte der Winkler noch breiter gegrinst und der Denk hätte die abendliche Runde bezahlen müssen.
Leider kam in der damaligen Zeit von diesem tollen 125er Zweitakter nichts, aber auch gar nichts zu uns nach Deutschland, abgesehen von dem Foto mit Walfried Winkler im Sattel des Billigablegers.
Dieses Versäumnis wird nun, fünfundsechzig Jahre später nachgeholt, in einer umfassenden Vorstellung in Heft 6/2020 von „Klassik Motorrad“ vom MO-Verlag. Hier wird nicht nur die Historie - sozusagen als Fortsetzung des Beginns der Moto-B-Historie in Heft 2/2020 - lückenlos dargestellt, sondern auch der Motor zerlegt und beschrieben. Das alles mit Fotos, welche so richtig Lust auf einen Ritt mit solch einem Rennerle machen. Wobei natürlich auch diese Fahreindrücke dem Leser nahegebracht werden. Viel Spaß beim Lesen!
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