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F.J.Schermers Impressionen
(2002)

Mit Phil Read im Bett und vor der Glotze

Oder: WENN DER MEISTER SPRICHT

Tja, Freunde der alten Motorräder und der Zeit, die niemals wiederkehrt, heute war so ein Tag, den man sich 1.) weder hat erträumen lassen in den 60er Jahren als Fan hinterm Zaun am Nürburgring noch 2.) gestern für möglich erklärt hätte, weil man
 3.) sich überhaupt nicht traute, an so was zu denken.

2002 Read Oschersleben 08Heute, am 7. April 2002,  hat Valentino Rossi mit der fünfzylindrigen Honda GP1-Rennmaschine den ersten Moto-GP im japanischen Suzuka gewonnen. Ein Sieg bei einem Rennen, das Geschichte schreiben wird, denn es war seit 1976 wieder ein Viertakter, der die Zweitakter besiegte. Dass er rund den doppelten Hubraum brauchte, um die bis Ende des letzten Jahres dominierenden Zweitakter auf die Plätze zu verweisen, das ist wieder eine andere Geschichte. 

1976 nämlich siegte Giacomo Agostini mit einer 500er MV Agusta beim deutschen WM-Lauf auf dem Nürburgring gegen die Zweitakter – und es sollte der letzte Sieg eines (gleichgroßen) Viertakters in der GP-Geschichte bleiben für mehr als 25 Jahre. Und heute, um auf den Grund dieser kleinen Geschichte zurückzukommen, sitzen um 6:30 Uhr in der Frühe eine Handvoll treue Oldie-Fans zusammen mit Phil Read vor der Glotze, um den ersten Moto GP1-Lauf zu sehen, wo Zwei- und Viertakter aufeinandertreffen.
Ort des Geschehens ist die Bar im Hotel an der Rennstrecke Oschersleben, wo uns das ungeheuer freundliche Personal zwei Fernseher einschaltet, Kaffee und Frühstück bringt und uns gucken lässt. Phil Read trinkt Kaffee, raucht Marlboro Light und gibt seine Kommentare ab.

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Beim Start des Rennens um 7 Uhr hofft er noch, dass Gary Mc Coy das Rennen gewinnt. Denn der ist ein ebenso wilder Hund wie Read es war, als er 1964 gegen Jim Redman, auf der legendären 250ccm Sechszylinder Werkshonda, für Yamaha den ersten 250ccm WM-Titel gewann und bis 1977 noch sieben weitere hinzufügte. Phil ist somit der erste Rennfahrer gewesen, der in den Klassen 125, 250, 500 und TT F1 Weltmeister wurde: Auf Yamaha (ein Titel 125, vier Titel 250), auf MV Agusta (zwei Titel 500) und auf Honda (ein Titel TT F1).

Und er ist der letzte Soloweltmeister auf einem Viertakter in der „normalen WM“, denn die Superbikes oder Supersportlers zählen hier nicht, wo es doch um die Geschichte der Straßen-Weltmeisterschaft geht: Phil Read hat 1974 die 500er WM gewonnen auf einer MV Agusta Vierzylinder. Eine Legende also, einer der Leute, welche in den Goldenen Jahren der Motorrad-Weltmeisterschaft erfolgreich waren. Und die heute bei Veteranenveranstaltungen rund um die Welt auftreten, bei Partys dabei und immer noch gut drauf sind - mit immerhin 63 Jahren; Phil Read kam am 1.1.1939 zur Welt

„Wer ist Roberts?“ fragt der süffisant in die Runde, als Little Kenny auf der Viertakt-Suzuki V4 einige Male ins Bild kommt. Man merkt, er mag den Namen Kenny Roberts nicht, weder den alten (Weltmeister 500 ccm 1978, 79 und 80) noch den jungen (Weltmeister 500 ccm 2000). Die Amis sind ihm zu vorlaut.

Denn bei allem, was Phil Read in seiner wilden Zeit als Fahrer in den 60er, 70er und 80er Jahren getrieben hat, er hat immer versucht, englischer Gentleman zu bleiben. Versucht zumindest, denn er ist von der Königin Elisabeth immerhin mit dem Orden „Member of the British Empire“ (MBE) ausgezeichnet worden für seine Verdienste um den Motorsport und das verpflichtet.

„Oh, shit!“ ruft er, als Mc Coy um 7:14 Uhr auf die Schnauze fliegt. Und als Oliver Jacque wegen eines angeblichen Frühstarts eine stop-and-go-Strafe aufgebrummt bekommt, da legt er die runzelige Haut seines Gesichts noch mehr in Falten: „Das wird Ihm nicht gefallen, denn er könnte gewinnen!“. Jacque liegt auf Rang drei!

„Rossi ist das größte Talent der letzten 30 Jahre“, sagt Phil, als Valentino von der Fußraste abrutscht, aber voll am Gas bleibt auf der Jagd nach dem Suzuki-Werksfahrer Ryo und damit Rang eins. Derweil fährt Reads Landsmann Jeremy Mc Williams auf Position sieben und er drückt ihm die Daumen, obwohl er die von Roberts senior eingesetzte Dreizylinder 500er fährt. Als Mc Williams auch stürzt, hören wir nur ein mitleidiges „shit!“.

Das Wetter ist gemischt, es ist nass auf der Rennstrecke Suzuka. Phil erzählt, was heute die Reifen ausmachen und dass man früher mit einem Reifen, dem Dunlop-„Dachreifen“ KR 181, fuhr und diesen auch mehr als ein Rennen lang gebrauchte, sowohl bei Sonnenschein als auch bei Regen. Ja, damals hatten die 500er nur so um die 100 PS, während die heutigen Zweitakter rund 200 PS leisten und die doppelt so großen Viertakter um die 220 PS.

Als Rossi gegen Rennende die Führung übernimmt und der Zieleinlauf Rossi (Honda V5), Ryo (Suzuki V4) und Checa (Yamaha Inline Four) lautet, ist Read ganz still, ein wenig nachdenklich. Er zündet sich eine neue Zigarette an, die fünfte übrigens, und sieht versonnen den neuen Premier Helm an, der vor ihm auf dem Tisch steht. In seinem design, schwarz mit weißen Streifen und seinem schwungvollen Autogramm auf beiden Seiten. Er denkt wohl an seine 52 GP-Siege und wir, seine Fans, sehen ihn von der Seite an.

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Derweil steht Valentino Rossi auf dem Siegerpodest. Wir fragen Phil und er versteht, stellt sich unter die beiden Bildschirme und freut sich. Ein sensationell historisches Bild ist entstanden: Die Rennlegende Phil Read, der letzte 500er Viertakt-Weltmeister von 1974, zusammen mit dem ersten Viertakt -Sieger der GP1-Klasse 2002 und 500er Weltmeister 2001, Valentino Rossi.  

2002 Read Oschersleben 10Ach ja, was ist denn mit „Phil Read im Bett“? Also, das war so: Gestern Abend hatte Ralph „Bohni“ Bohnhorst eine Party angesetzt zwecks Präsentation der SCUDERIA SHELL CLASSIC, das ist ein Rennteam, in dem alte Säcke mit alten Kisten um die Wette fahren. Da ich vergessen hatte, mir ein Zimmer zu buchen und es draußen saukalt war, fragte ich Dr. Stefan Elisat (" Doc E" ein Zahnarzt, der für Phil Reads Beißerchen zuständig ist!), ob er wohl noch ein freies Bett wüsste hier in der Gegend. Er zog mich zu Read und sagte, dass heute Nacht keine Frau für ihn vorgesehen sei, sondern der Schermer . So kam ich zu einer Nacht mit Phil Read in Zimmer 225.

Übrigens: Er hat nicht geschnarcht. Aber er rauchte gleich nach dem Aufwachen. Und sein Parfüm ist ein wenig zu süßlich. Wer das nicht verträgt, der sollte sich nicht um eine Nacht mit Phil bewerben. Denn früher wurde der Begriff „Motorradsportler“ anders definiert als heute!  


Text: F.J. Schermer, Fotos: Peter Frohnmeyer

"Phil Read" von Karl-Heinz Bendix (2006)